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Wer nicht viel hat außer der guten Idee, weder hohe Schulden noch Sicherheiten, tut sich auch in Deutschland schwer.

Leitartikel
Friedensnobelpreis

Yunus macht
aus Armen
Unternehmer


Von Bernhard Hertlein
Der Frieden ist nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale Aufgabe. Diese Erkenntnis ist sicher nicht neu. Aber neu ist die Anerkennung einer sozialen Großtat durch das Nobelpreiskomitee.
Wer nichts hat, bekommt auch nichts -Êes sei denn, zu Wucherzinsen. Das war auch in Bangladesch so, bevor Professor Muhammad Yunus die Grameen-Bank gegründet hat. In der Vergangenheit zog die Verschuldung die Dorfbewohner Südasiens meistens immer tiefer in die Armutsspirale -Êso tief, dass sie am Ende wie Leibeigene über keine eigenen Rechte mehr verfügten. Dabei stand am Anfang oft nur ein Kredit, um die Hochzeit und Mitgift für die Tochter zu bezahlen.
Solche Kredite, vermittelt Grameen nicht. Als Ökonom hat Yunus ein klares Bild, wie die Armen aus ihrem Elend herausgeführt werden können: Er macht sie zu Unternehmern. Gebt einer armen Frau in Bangladesch die notwendigen Takas für den Kauf einer Kuh, und sie kann mit der Milch nicht nur ihre Familie ernähren, sondern den Überschuss auch noch verkaufen. Eine andere wird mit dem Geld Baumwolle kaufen und daraus neue Saris nähen. Wieder eine andere nutzt den Kredit als Grundstock für einen kleinen Verkaufsladen.
Dass hier nur Beispiele von Frauen erwähnt werden, ist kein Zufall: Etwa 90 Prozent der Kleinkredite fließen an das benachteiligte Geschlecht. Man muss es neidlos anerkennen: In Bangladesch, aber nicht nur dort, funktioniert das System so besser. Männer neigen zu oft dazu, das Geld zu verprassen. Frauen investieren es für die Familie. Die regelmäßigen Treffen, bei denen die Kreditnehmerinnen laufend weitere Tipps erhalten, dienen zugleich der sozialen Kontrolle. Denn nur wenn das Geld an Grameen zurückfließt, können andere neue Kredite erhalten. Indem Yunus Arme in Bangladesch zu Unternehmerinnen macht, stellt er gleichzeitig die traditionelle Hierarchie auf den Kopf. Frauen, die nun den größeren Teil des Familieneinkommens bestreiten, lassen sich nicht mehr alles gefallen.
Diese Veränderungen haben Yunus in seinem Heimatland nicht nur Freunde gebracht. Teilweise werden Frauen von ihren Männern und von den Mächtigen im Dorf genötigt, Kredite nicht zurückzuzahlen.
Bislang aber ist Grameen stärker. Die Bank wurde sogar zum echten Exportschlager mit Ablegern oder Nachahmern auf der ganzen Welt.
Auf der ganzen Welt?
Ausgerechnet in Mitteleuropa, dort, wo das Bankensystem am stärksten ist, beklagen sich neuerdings immer mehr Kleinunternehmen, dass ihnen die Geldinstitute das Wirtschaften schwer oder sogar unmöglich machen. Der Eindruck verstärkt sich, dass man leichter ein Unternehmensdarlehen über eine Million als über 10 000 Euro aufnehmen kann. Wer nicht viel hat außer einer guten Idee, also weder hohe Schulden noch große Sicherheiten, tut sich häufig schwer. Es scheint, als könnte auch Deutschland noch von Yunus lernen.

Artikel vom 14.10.2006