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Das lebenslange Leid
des kleinen Kevin

Problem war den Behörden seit Geburt des Jungen bekannt

Bremen (WB/dpa). Einige Kerzen und Blumen erinnern seit gestern vor dem Mehrfamilienhauses im Bremer Stadtteil Gröpelingen an das Schicksal des kleinen Kevin.

Tags zuvor war der Zweijährige dort tot im Kühlschrank der väterlichen Wohnung gefunden worden. Als Beamte am Dienstag, wie berichtet, mit Gewalt in die Wohnung des Mannes eindrangen, um den Jungen mitzunehmen, machten sie die grausige Entdeckung. Auf einen Fingerzeig des drogensüchtigen 41-Jährigen fanden sie die Leiche des Kindes. Seitdem schweigt der Vater, der wegen des Verdachts des Totschlags und der Misshandlung von Schutzbefohlenen in Untersuchungshaft sitzt.
Wann Kevin starb, ist noch unklar. Doch dass sein etwa 30 Monate währendes Leben ein einziges Leiden war, das steht schon fest. Bereits zwei Monate nach seiner Geburt, im März 2004, muss er mit der heroinsüchtigen Mutter zur Entgiftung. Als die im November 2005 unter ungeklärten Umständen stirbt, wird er schon einmal ins Heim, dem Vater aber dann zurückgegeben. Seit Geburt hatte das Jugendamt die Problemfamilie im Blick - oder sollte sie jedenfalls im Blick gehabt haben.
Doch die Senatsverwaltung des Stadtstaates musste gestern Beschämendes zugeben. Etwa dies, nichts von den Ermittlungen gegen den Vater wegen des ungeklärten Todes der ebenfalls heroinsüchtigen Mutter von Kevin gewusst zu haben. Und auch, dass die Richterin, die Kevin unter die Vormundschaft des Jugendamtes stellte, sich mehrfach an die Behörden gewandt habe, weil »dringend etwas geschehen müsse«.
Der Fall werde trotz ihres Rücktritts sorgfältig aufgeklärt, beteuerte gestern Sozialsenatorin Röpke. Was auch sonst? Die Staatsanwaltschaft kündigte bereits an, auch gegen die Sozialbehörde der Hansestadt zu ermitteln - wegen Verletzung der Fürsorgepflicht. Bei der Obduktion Kevins seien Brüche des linken Oberschenkels, des rechten Schienbeins, des linken Unterarms sowie Blutungen auf dem Schädel festgestellt worden.
Als »richtig und unvermeidlich«, kommentierte Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) den Rücktritt seiner Senatorin. »Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat sie schützt.« Im Fall Kevin jedoch hat der Stadt-Staat komplett versagt. Der drogensüchtige Vater scherte sich nicht um Gerichtstermine und Aufforderungen des Jugendamtes. Erst als Kevins Großmutter Mitte September im Sozialzentrum meldet, sie habe den Jungen seit Anfang Juli nicht mehr gesehen, wird beschlossen, Kevin aus der Familie zu nehmen.
Die Entscheidung, das Kind aus der väterlichen Wohnung zu holen, sei am 18. September gefallen, sagte gestern Jugendamtsleiter Jürgen Hartwig. Weil der Vater den Zutritt verwehrte, ging der Fall ans Familiengericht. Das entschied am 2. Oktober, dem Vater die Obhut für das Kind zu entziehen. Ob Kevin da noch lebte?
In Bremen gebe es die politisch gewollte Linie, Kinder eher bei ihren drogenabhängigen Eltern zu lassen, als sie ins Heim oder eine Pflegefamilie zu geben, sagt die Leiterin des Bremer Kinderschutzzentrums, Petra Stern. »Ich sehe die derzeitige Praxis mit großer Skepsis.« Wohl mit Recht.

Artikel vom 12.10.2006