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Kläger: Berufliche Verwurzelung
stärkt Freiheit der Abgeordneten

Pflicht zur Veröffentlichung der Nebeneinkünfte auf dem Prüfstand

Von Dirk Schröder
Karlsruhe/Berlin (WB). Die im vergangenen Jahr geschaffene Pflicht für Abgeordnete zur Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte steht seit gestern auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
Einer der neun Kläger in Karlsruhe: Friedrich Merz.

Geklagt haben neun Bundestagsabgeordnete aus Koalition und Opposition, darunter der ehemalige Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). Die Regelung verletze die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Parlamentarier und behindere ihre Tätigkeit als Selbstständige, argumentieren sie. Derzeit müssen die Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte nur dem Parlamentspräsidenten offenbaren.
Die neue Veröffentlichungspflicht, die unter der Ägide der rot-grünen Vorgängerregierung geschaffen worden war, hat Bundestagspräsident Norbert Lammert bis zum Karlsruher Urteil ausgesetzt. Der Regelung zufolge müssten die Abgeordneten Nebeneinkünfte angeben, wenn sie brutto 1000 Euro im Monat oder 10 000 Euro im Jahr übersteigen. Sie müssten ihr Einkommen allerdings nicht konkret beziffern, sondern könnten sich in eine von drei Gruppen einteilen: 1000 bis 3500 Euro im Monat, 3500 bis 7000 Euro oder darüber.
Neben Merz klagen die beiden Rechtsanwälte Siegfried Kauder und Marco Wanderwitz von der CDU, Wolfgang Götzer (CSU/Rechtsanwalt), Max Straubinger (CSU/Generalvertreter einer Versicherungsgesellschaft) und Peter Danckert (SPD/Rechtsanwalt). Von der FDP klagen die beiden Rechtsanwälte Sibylle Laurischk und Hans-Joachim Otto sowie Heinrich Leonhard Kolb, Mitgeschäftsführer eines mittelständischen Familienunternehmens.
Seitdem beispielsweise Merz nur noch einfaches Fraktionsmitglied ist, arbeitet der 50-Jährige als Rechtsanwalt für die Wirtschaftskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw, sitzt in diversen Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten von Unternehmen und Banken. In der vergangenen Legislaturperiode brachte er es auf 18 Nebentätigkeiten, die nach seinen Angaben etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit in Anspruch nehmen.
Die Kläger warnten vor einem reinen Beamten- und Funktionärsparlament. Max Straubinger kritisierte die Transparenzvorschriften als abschreckend für Selbstständige. Merz sieht die Entwicklung zum reinen Politfunktionär längst im Gang: »Die Zahl der nicht mehr in einen bürgerlichen Beruf resozialisierbaren Abgeordneten nimmt zu.«
Kolb sagte, für Unternehmer werde es mit den Regeln ungleich schwerer, sich um ein Mandat zu bewerben. Im Parlament fehlten dann Politiker, »die selbst erfahren haben, wie Arbeitsplätze entstehen«. Nach den Worten Ottos stärkt eine berufliche Verwurzelung die Freiheit der Parlamentarier: »Die wahre Bedrohung der Unabhängigkeit ist die ständig zunehmende Abhängigkeit von der Partei. Wir brauen mehr Abgeordnete mit Nebentätigkeiten.«
Es gibt aber auch andere Meinungen. Der Grünen-Politiker Volker Beck sagte, die Bürger hätten ein Recht darauf zu wissen, ob politische Entscheidungen unbeeinflusst von wirtschaftlichen Interessen gefällt würden. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Susanne Kastner (SPD), sagte: »Zweier Herren Brot kann nur zu Interessenkonflikten führen.«
Von »Berufsverbot« könne keine Rede sein, betonte der Bund der Steuerzahler. Den Abgeordneten werde ja nicht verboten, einer anderen Tätigkeit nachzugehen, meinte Steuerzahler-Präsident Karl Heinz Däke. Die Preisgabe der Nebeneinkünfte sei auch keine Zumutung. Däke: »Die Abgeordneten haben einen Auftrag von ihren Wählern. Diesen müssen sie so ausführen, wie ihr Gewissen es ihnen sagt. Das bedeutet, dass sie sowohl in Berlin als auch in ihrem Wahlkreis für ihre Wähler entsprechend ihrem Auftrag da sein müssen.«
Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof beneidet den Zweiten Senat nicht um seine Aufgabe. »Wir haben einerseits das berechtigte Anliegen, dass alle Einflussnahme auf den Abgeordneten transparent ist und offenbart werden muss. Aber das darf nicht heißen, dass er seine Arbeitskraft ausschließlich der Politik widmet, seine Verankerung im Staatsvolk verliert und deswegen die Nebentätigkeit anrüchig wird«, sagte Kirchhof der »Welt«. Kommentar

Artikel vom 12.10.2006