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»Grass ist mir zu wenig intelligent«

»Dichter beschimpfen Dichter« - Drews' Neuausgabe der Bosheiten

Bielefeld (sas). »Der Grass ist mir einfach zu wenig intelligent, um so dicke Bücher zu schreiben.« Friedrich Dürrenmatts Urteil über Nobelpreisträger Günter Grass und den »Butt« war kurz und bündig. Wie auch Georg Friedrich Lichtenbergs Anmerkungen zu Klopstock: »Mit größerer Majestät ist wohl noch nie ein Verstand stillgestanden.«

Da sage noch einer, eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus: »Hohn war immer eine berechtigte Form geistiger Kriegsführung«, zitiert Jörg Drews den Dichter Theodor Fontane. Und hat sich das zu Herzen genommen.
Über Jahre hinweg hat der Literaturwissenschaftler und emeritierte Professor der Universität Bielefeld kleine Spitzen, Derbheiten und puren Spott von Dichtern über Dichter gesammelt. In zwei Bänden ist dieses »Alphabet harter Urteile« 1990 und 1992 erschienen. Jetzt, im Herbst, erscheint im Haffmanns Verlag bei Zweitausendeins für 9,90 Euro eine überarbeitete, ergänzte und erweiterte Neuauflage beider Sammlungen.
»Dichter beschimpfen Dichter« - längst nicht immer fein und zurückhaltend. Da wird oft nicht gehobelt, sondern grob geklotzt - und der Leser amüsiert sich. Von Aischylos (über den Franz Grillparzer den Stab brach) bis Gerhard Zwerenz (dem Eckhard Henscheid neidet, wegen des »Z« stets den Schlusspunkt zu setzen) reicht die alphabetische Liste derer, die ihr Fett wegbekommen.
Selbst am Denkmal solcher Geistesgrößen wie Goethe wurde und wird gekratzt: »Goethe hat eine ungeheuer hindernde Kraft, er ist ein grauer Star im deutschen Auge. Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, seit ich denke, weiß ich warum«, urteilt Ludwig Börne, während Friedrich Schlegel kurz konstatiert: »Goethe ist ohne Wort Gottes«, Arno Schmidt ihn für nicht halb so gut hält, wie in Schule und Universität eingeredet werde (»20 Prozent des ĂŽuvre, höchstens, sind gut«) und Gerhard Rühm kurz und bündig sagt: »Ich finde, Goethe ist dort am klassesten, wo er a Sau is.«
»Intellektuellenkitsch fällt Jürgen Lodemann zu Peter Handke ein, »Illustriertenplattheiten in diesem Illustriertenjargon, ogottogott« stöhnt Heinar Kipphardt über Dürrenmatts »Physiker«: Die Kollegenschelte lässt nichts zu wünschen übrig. Wer Lust auf mehr bekommen hat, hat recht - wobei sich durchaus auch längere Würdigungen finden. Aber trotz vielleicht differenzierterer und begründeterer Ablehnungen: freundlicher sind sie deswegen nicht unbedingt.
»Händereibend-voyeuristisch«, gesteht Jörg Drews zu, genieße man es als Leser, dabei sein zu dürfen, wenn die Dichter aufeinander losschlagen. Und er sieht etwas »Psychohygienisches« darin, die Funktion der Triebabfuhr auf harmlose Art. Feinsinn auf Seiten der Dichter? Von wegen; vielmehr Bosheiten, die fast ein »Schlachtfest« sind.
Diese Aggressivität, befindet Drews, verrate auch etwas über die Produktionsbedingungen der Schriftsteller und über psychologische Konditionen. Zugleich aber seien »fast alle Attacken auch lesbar als Bausteine für eine literaturkritische Position, als literaturästhetisches Argument«. Zuweilen, urteilt der Wissenschaftler, Literaturkritiker und Juror der Bestenliste, sei so manche Sottise ein lang ersehnter Beitrag zur Justierung der Maßstäbe. Oder auch: »Was Grillparzer über Honoré de Balzac von sich gibt, vermehrt die Gründe unserer Verachtung - für Grillparzer.« Und Drews erwartet, dass die Schimpfkanonaden beim Leser nicht nur Schadenfreude auslösen, sondern auch zum Nachdenken über Literatur anregen.

Artikel vom 13.10.2006