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Junge lag tot
im Kühlschrank

Vermutlich zu Tode vernachlässigt

Bremen (dpa). Erneut ist ein Kind in Deutschland auf grausame Weise ums Leben gekommen. Der zweieinhalb Jahre alte Junge wurde gestern tot in der Wohnung seiner Eltern im Kühlschrank entdeckt.

Beamte machten den grausigen Fund, als sie das Kind abholen wollten. Wie ein Polizeisprecher weiter mitteilte, stand der Junge seit dem Tod seiner drogensüchtigen Mutter 2005 unter der Vormundschaft des Jugendamtes. Der 41 Jahre alte und ebenfalls drogenabhängige Vater wurde festgenommen. Das Kind sei nicht erst in den vergangenen Tagen gestorben, hieß es. Die Sozialbehörde leitete umgehend Untersuchungen zu dem Fall ein.
»Es muss geklärt werden, inwiefern es in der zuständigen Behörde Fehleinschätzungen zu dem Fall gegeben hat«, sagte Jugendamtsleiter Jürgen Hartwig. Das Kind wurde seit seiner Geburt von der Jugendhilfe begleitet, da die Mutter dem Säugling gegenüber gewalttätig war. Das letzte Lebenszeichen des Kindes stammt vom Juli dieses Jahres, als ein Arzt das Kind gesehen hatte. Seitdem bekam es kein Mitarbeiter der Sozialbehörde mehr zu Gesicht. Zu der Frage, ob ein solcher Zeitraum für angemessen gehalten wird, machte das Amt keine Angaben.
Das Familiengericht hatte am 2. Oktober entschieden, dem Vater die Obhut für das Kind zu entziehen. Der Mann hatte sich nach Angaben der Sozialbehörde den Empfehlungen der Sozialarbeiter widersetzt und war wiederholt nicht zu den Gerichtsterminen erschienen. Als die Sozialarbeiter das Kind gestern mit Unterstützung von Polizei und Gerichtsvollzieher abholen wollten, fanden sie im Kühlschrank die Leiche.
Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) betonte, es werde geprüft, welche Konsequenzen für die Zukunft aus dem Fall gezogen werden könnten. Es sei immer eine Gratwanderung, zwischen dem Recht der Eltern zur Erziehung und dem Kindeswohl abzuwägen.
Den Ermittlern zufolge wies die Leiche des Kindes Spuren von Mangelerscheinungen auf. Gegen den Vater wird nun ermittelt. Dabei wird noch geprüft, ob die Staatsanwaltschaft dem Verdächtigen aktive Tötung oder Vernachlässigung des Kindes vorwirft. Er hatte auf die Frage nach dem Kind mit den Worten geantwortet: »Da drüben liegt er«, und auf den Kühlschrank gedeutet. Nach Angaben des behandelnden Arztes habe der Mann bisher »keine weiteren Auffälligkeiten« gezeigt. Der 41-Jährige befand sich in einem Methadon-Programm gegen seine Drogensucht.
Das Schicksal des Jungen ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren mussten mehrere Kinder qualvoll an Mangelversorgung sterben. Die Eltern des sechsjährigen Dennis aus dem brandenburgischen Cottbus wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem sie den Jungen verhungern ließen und die Leiche in der Tiefkühltruhe versteckten. Im Jahr 2005 erstickte die sieben Jahre alte Jessica in Hamburg. Ihre Eltern hatten sie vernachlässigt und eingesperrt.

Artikel vom 11.10.2006