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Ein Kuss und viele Paare
Liebhaber des Bildhauers Auguste Rodin reisen nach München und Essen
Um die thematisch beste Ausstellung des französischen Bildhauers Auguste Rodin zu erleben, reisen Kunstliebhaber aus aller Welt derzeit nicht nach Paris, sondern nach München oder Essen.Die Präsentation »Der Kuss - Die Paare« ist momentan in der Münchener Hypo-Kunsthalle zu sehen und wechselt im Januar 2007 ins Essener Folkwang-Museum. Gezeigt werden nicht nur Skulpturen in verschiedenen Variationen, sondern auch fotografische Reproduktionen.
Rodins Meisterwerk »Der Kuss« zählt ebenso wie sein »Denker«, der vor der Bielefelder Kunsthalle steht, zu den bekanntesten Werken der europäischen Kunstgeschichte. Ähnlich wie das Lächeln der »Mona Lisa« hat die Ausstrahlung dieser Skulptur sich so weit verselbständigt, dass sie zu einem Symbol für die Darstellung der Liebe schlechthin geworden ist.
Die öffentliche Sichtweise wird dem Werk allerdings nicht gerecht. Man sollte den »Kuss« nicht als Einzelstück aus der Kollektion »Rodins Greatest Hits« betrachten -Êund auch nicht als »Sahnehäubchen« eines erotisch motivierten Künstlers. Rodin selbst hat sich trotz der Skandale, die er mit einigen seiner Werke auslöste, stets dagegen verwahrt, als »erotischer Künstler« zu gelten. Insofern rückt diese Ausstellung ins rechte Licht, was gebührend gewürdigt werden sollte: Rodin hat eine ganze Reihe von Paarskulpturen geschaffen, die dem »Kuss« künstlerisch in nichts nachstehen.
Die Ausstellung bietet die Möglichkeit, alle Skulpturen aus ganz unterschiedlichen Positionen zu betrachten. Indem man um sie herumgeht und sich neue Sichtweisen erschließt, kommt man zu neuen Interpretationen. Was zunächst wie die große literarische Plastik daherkommt, die ihre Themen aus der Dichtkunst und Mythologie bezieht, entpuppt sich als faszinierender Aufbruch in die Moderne.
Noch bevor Picasso & Co. die Kunst revolutionierten, wies Rodins Körperdarstellung den Weg in eine ganz neue Richtung. Rodin war sich stets bewusst, dass Form und Inhalt untrennbar sind und miteinander in dialektischer Wechselwirkung stehen. Und dennoch: Weil er vorhandene Figuren quasi in neue Konstellationen hineinkomponierte, öffnet sich ein großer Kosmos an Deutungsmöglichkeiten. So ist »Der Kuss« auch entstanden, indem Rodin zwei Personen darstellen wollte, nämlich Francesica da Rimini und Paolo, das unglückliche Liebespaar aus der »Göttlichen Komödie«. Die Bezeichnung »Der Kuss« stammt nicht von ihm selbst, sondern wurde von Kunstkritikern geprägt.
Die Ausstellung ist in die Themenbereiche »Paare aus der Höllenpforte«, »Allegorische Paare«, »Künstler und Muse«, »Biblische Paare«, »Sapphische Paare« und »Mutter und Kind« gegliedert. Thomas Albertsen
www.hypo-kunsthalle.de

Artikel vom 14.10.2006