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Die mächtigen Beamten in Brüssel

Eine lange Liste: deutsche Gesetze in der Schusslinie der EU-Kommission

Von Martin Romanczyk
Brüssel (dpa). Der Teufel steckt im Detail. Und die EU-Beamten in Brüssel sind detailversessen und mächtig. Manche sind sogar zu mächtig, wie der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen jüngst kritisierte.

Vor solcher Erkenntnis schützt auch keine EU-Ratspräsidentschaft: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Regierung vom 1. Januar 2007 an ein halbes Jahr die Geschäfte der Europäischen Union führen, geht es nicht nur um einen glanzvollen Jubiläums-Gipfel zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge oder um neue Impulse für die totgesagte europäische Verfassung. Dies ist nur die eine Seite. Darüber hinaus drohen ernste Konflikte, denn die Bundesregierung steht bei zahlreichen Gesetzesvorhaben in der Schusslinie der EU-Kommission, der Hüterin des gemeinsamen Rechts.
Die Liste der Berlin-Brüssel-Probleme ist voll mit politischem Sprengstoff, da doch manches Dossier milliardenschwere Interessen der deutschen Wirtschaft berührt. Da ist zum Beispiel die Idee, die Deutsche Telekom beim Aufbau eines superschnellen Datennetzes für eine bestimmte Zeit vor Wettbewerbern zu schützen
»Kommt gar nicht Frage«, ruft da Viviane Reding, EU-Kommissarin für Kommunikationstechnologien, ohne Unterlass. Pünktlich zum Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft droht sie mit einem Vertragsverletzungsverfahren, falls das Telekom-Gesetz zum 1. Januar in Kraft trete.
Ein heikles Thema ist auch der Sonderschutz für deutsche Sparkassen. Obwohl man in Berlin mit Hochdruck an einer Entschärfung des Problems arbeitet, droht Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Die EuGH-Richter haben das letzte Wort - und sie stehen nicht im Verdacht, Hürden im freien Kapitalverkehr in der EU zu tolerieren. McCreevy will privaten Investoren den Einstieg in die bisher fast ausschließlich öffentlich-rechtlichen Geldinstitute ermöglichen.
Wenn es um die Interessen des eigenen Landes geht, kann eine EU-Ratspräsidentschaft zur Last werden. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wird es eher schwer haben mit seinem Versuch, in Deutschland gegen Milliarden-Betrug bei der Mehrwertsteuer-Verrechnung vorzugehen.
Da könnte nun mit Haken und Ösen verhandelt werden, aber es gilt die ungeschriebene Regel: Der EU-Vorsitz sorgt mit einem Maß an Zurückhaltung für faire Kompromisse. Den Fluch des ehrlichen Maklers erlebte die bisher letzte deutsche EU-Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 1999. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) musste schmerzlich feststellen: Beim Feilschen um die EU-Finanzen für die Jahre 2000 bis 2006 konnte Deutschland nur eine Einigung möglich machen, indem es selbst die Geldbörse öffnete und ausgesprochen großzügig war.

Artikel vom 11.10.2006