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Merkel will Vertrauenskrise in
der Europäischen Union stoppen

Schwierige Mission: Libanon-Krise und Atomkonflikt mit Iran als Ballast

Von Frank Rafalski
Berlin (dpa). Das Ziel steht fest, der Weg dorthin ist aber noch unklar. »Europa hat uns ein ziemlich schweres Bündel aufgeladen«, stöhnt Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), wenn er an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 denkt.

Im Kanzleramt betont man: »Wir wollen Europa wieder in Bewegung bringen.« Und im selben Atemzug heißt es: »Doch lassen Sie uns die Erwartungen zurückschrauben.«
Zweieinhalb Monate vor Beginn des »deutschen Halbjahrs« in der EU herrscht verbreitet Unsicherheit. Die Libanon-Krise und der Atom-Konflikt mit Teheran sind noch längst nicht überwunden. In der Europäischen Union selbst liegt die Verfassung weiter auf Eis. Die Erweiterungspolitik ist noch konturlos. Auch die vor mehr als einem Jahr ausgerufene »Reflexionsphase« zur Krise der EU-Institutionen hat noch keine zündenden neuen Ideen gebracht.
So präsentiert die deutsche Regierung EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso heute im Bundeskabinett allenfalls Bausteine eines »Regierungsprogramms« für die deutsche Ratspräsidentschaft. Dazu gehören neue Anstöße für die Energie- und Nachbarschaftspolitik, viel Bürokratieabbau und mehr Binnenmarkt sowie Vorschläge für klarere Kompetenzabgrenzungen von Brüssel.
Zur Wiederbelebung des EU-Verfassungsprozesses als dem Kernthema der deutschen Ratspräsidentschaft wird Barroso in Berlin kaum Konkretes hören. »Aktives Zuhören« ist von deutscher Seite angesagt. Bis nach den französischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2007 will Merkel alles vermeiden, was nach einer deutscher Vorfestlegung in dieser heiklen Frage aussehen könnte.
Beim Juni-Gipfel in Brüssel will die Kanzlerin dann aber eine Lösung präsentieren. »Von einem reinen Verfahrensvorschlag bis zu einem Textvorschlag für einen neuen Vertrag (...) - vermutlich irgendwo dazwischen wird es liegen«, sagen Merkels Berater. Nach dem Sieg der Verfassungskritiker bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden will die Bundesregierung das Feld nicht kampflos räumen.
»Alle müssen sich bewegen, aber einige müssen sich mehr bewegen als andere«, sagt Steinmeier. Und er rechnet vor, dass nach dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens bald zwei Drittel der dann 27 EU- Mitglieder den Verfassungstext ratifiziert haben werden. Diese große Mehrheit könne man nicht einfach übergehen.
Doch entscheidender als die Verfahrensfrage zur Verfassung ist für Merkel und Steinmeier, die Vertrauenskrise in der EU zu stoppen. Auch bei den Deutschen als traditionell überzeugten Anhängern der Union ist die Europaskepsis gewachsen. Mit einem »Europa der Projekte« allein, wie es etwa Barroso propagiert, sei der Stimmungsumschwung nicht zu schaffen, analysiert der deutsche Außenminister.
Europa soll wieder näher an die Bürger heranrücken. Doch wie das geschehen kann, ist weitgehend unklar. Zunächst einmal soll das EU-Jubiläum während der deutschen EU-Präsidentschaft etwas bürgernäher ablaufen als frühere politische Großereignisse dieser Art. Der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge zur Gründung der Ur-EU mit einem Berliner Sondergipfel im März soll mit Bürgerfesten in 50 Städten begangen werden. Die Mitglieder des Bundeskabinetts haben ferner dafür gesorgt, dass die EU-Ministerräte ihres Ressorts oft in der Nähe ihrer persönlichen Wahlkreise stattfinden werden.
Konkret soll das deutsche EU-Programm allerdings erst im November werden. Bis dahin verweist man in Berlin noch auf Merkels programmatischen Standardsatz: »Europa neu begründen.« So oder ähnlich wird auch das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft lauten. Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 11.10.2006