11.10.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Putin will weit mehr Gas liefern

»Deutschland als Energieverteiler in Europa« - Mord als Gräueltat verurteilt

Dresden (dpa/Reuters). Russland will die Gaslieferungen an Deutschland mehr als verdoppeln und es damit zu einem Zentrum der Energieverteilung in Europa machen.
Dazu müssten die immensen Gasvorkommen im Stockmann-Feld in der Barentssee erschlossen und über die Ostsee-Pipeline nach Deutschland geliefert werden, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin gestern nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Dresden.
Russland könnte in diesem Fall jährlich zusätzlich 50 bis 55 Milliarden Kubikmeter Gas an Deutschland liefern. Zur Zeit kommen laut Putin aus Russland jährlich 40 Milliarden Kubikmeter Gas. »Deutschland würde von einem Verbraucher zu einem Zentrum der Energieverteilung in Europa«, sagte er.
Putin verwies auf das große Interesse der deutschen Wirtschaft und zeigte sich zuversichtlich, dass Erschließung und Bau der Pipeline gelingen. Nach russischen Angaben ist es das weltgrößte Gasvorkommen. Es wird auf 3,7 Billionen Kubikmeter Erdgas geschätzt. Putin geht davon aus, dass das Feld mindestens 50 Jahre lang ausgebeutet werden kann.
Auch Merkel zeigte sich zuversichtlich, dass das Pipeline-Projekt verwirklicht werden kann. An die Adresse Polens bekräftigte sie, dieses Projekt sei »gegen niemanden gerichtet«. Zugleich machte sie deutlich, dass Deutschland als selbstbewusste Wirtschaftsnation offen auf alle möglichen Partner zugehe. Sie verstehe, dass Russland in Europa Fuß fassen wolle und im Grundsatz gebe es keinen Grund, »sich gegen sich entwickelnde Wirtschaften abzuschotten«.
Putin hat in Dresden auch klargestellt, dass sein Land »keine feindliche Übernahme« des Europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS plane. Putin wünscht sich jedoch einen Ausbau der russischen Beteiligung von derzeit fünf Prozent. Entschieden sei aber noch nichts.
Putin hat den Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja als »Gräueltat« verurteilt und die Bestrafung der Täter gefordert. Das verabscheuungswürdige Verbrechen dürfe nicht ungesühnt bleiben, sagte Putin. »Die Verbrecher müssen gefasst und bestraft werden«, fügte er hinzu. Die Tat schade Russland insgesamt.
Nach Merkels Worten ist die Aufklärung des Falls auch ein Symbol für die Bedeutung der Pressefreiheit in Russland. Sie gehe nach dem Gespräch mit Putin davon aus, dass alles getan werde, um die Mörder zu finden. Aufgebrachte Demonstranten hatten den russischen Präsidenten zuvor mit »Mörder-Mörder«-Rufen in Dresden empfangen.
Die Kanzlerin kündigte an, die Lösung des Nahost-Konflikts mit Russland und den übrigen Partnern im Nahost-Quartett während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 zu einem Schwerpunktthema zu machen. Nach Merkels Worten will Deutschland nach der Übernahme des Vorsitzes der Gruppe der sieben führenden Industrienationen und Russlands (G8) Schwerpunktthemen der gegenwärtigen russischen Präsidentschaft Energie, Bildung und Seuchenbekämpfung 2007 fortführen.

Artikel vom 11.10.2006