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Erzählung besteht
aus nur einem Satz

F.C.Delius »malt« Bildnis der Mutter


Bielefeld (bp). Die Idee zu seiner Erzählung »Bildnis der Mutter als junge Frau« habe er im Grunde schon vor zehn Jahre gehabt, sagt der Schriftsteller Friedrich Christian Delius (63), der sein Buch gestern Abend in der »Thalia«- Universitätsbuchhandlung vorstellte. Vor zehn Jahren noch sei es ein Buch von drei Frauen gewesen. Jede einzelne von ihnen habe sich verselbständigt - in jeweils einem Buch: »Der Königsmacher«, »Mein Jahr als Mörder« und jetzt das »Bildnis«.
Selten jedoch habe er eine Erzählung geschrieben, die die Leser emotional so anspricht, sagt Delius: »Beim Schreiben wusste ich wirklich nicht, ob das jemanden interessiert.« Dass es so ist, freut ihn. Und er ist auch überzeugt, dass seiner Mutter, die 1995 starb, das Buch gefallen hätte.
Delius schildert einen Tag im Leben seiner Mutter im Januar 1943 in Rom: Eine junge Deutsche, deren Mann überraschend an die afrikanische Front versetzt wurde, steht vor der Geburt ihres ersten Kindes. Sie ist fremd in der Stadt, beherrscht die Sprache nicht und weilt in Gedanken bei ihrem Mann. Delius beschreibt den Weg von der Unterkunft bis zur evangelischen Kirche, in der es an jenem Abend ein Konzert gibt.
Bevor er sich eines Themas annehme, suche er nach einer passenden Form, sagt Delius. Dieses Buch besteht aus einem einzigen Satz, der im Rhythmus von Atmung und Laufen dahinschwingt. Damit sei er ein erprobtes Wagnis eingegangen: »Bei ÝDie Birnen von RibbeckÜ habe ich es schon einmal so gemacht - da aber nur 78 Seiten lang.«
Er habe Briefe seiner Mutter gehabt und recherchiert, wie die Verhältnisse 1943 im faschistischen Rom waren, »bis hin zu den Propaganda-Plakaten, die damals aufgehängt wurden«. Er entdeckte im Archiv der evangelischen Kirche in Rom, dass es tatsächlich ein Konzert gegeben hat wie das, das seine Mutter besuchte. Delius: »Ich wollte versuchen, die Zeit zu beschreiben, in der meine Mutter gelebt hat.« Er glaubt, dass das Buch Lesern ermöglicht, die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern zu verstehen: »Die Form trägt dazu bei, und der Erzählrhythmus hilft dranzubleiben.«

Artikel vom 10.10.2006