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Zwei Fotos aus dem Jahr 1881: Kristjana Johanna und Carl Wilhelm Schütz grüßen als goldenes Hochzeitspaar. Foto: Ravensberger Blätter

Wo de Walfiske bi das Ihs herrumspitakelt . . .

Kristjana Johanna Briem: Bielefelds »schöne Isländerin«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). »Ich habe gar nicht gewußt, daß Bielefeld, mir sonst nur des Leinenhandels wegen bekannt, einen Sanskritforscher birgt«, notierte der hochgelehrte August Wilhelm Schlegel erstaunt. Und einen Shakespeare-Club. Und eine schöne Isländerin. Und man kannte Goethe persönlich!

Um Kristjana Johanna Briem haben sich viele Männer bemüht, auch reiche Leute aus Paris, aber die Schöne aus dem westisländischen Hvammsfjord wollte höher hinaus - und gab einem Bielefelder Oberlehrer das Jawort. Fräulein Briem (1805-1886), Tochter eines Landgeistlichen, hatte zunächst mit ihrem väterlichen Mentor, dem Kopenhagener Philologen Birger Thorlacius, halb Europa bereist, hatte Berlin, Prag und Wien, München, Venedig und Rom gesehen. »Gott mag wißen, wie das anging, daß wir alle nach Halle kamen«, schrieb sie später. In Halle a.d. Saale nämlich war es, dass sie einen sehr ehrgeizigen, sehr humorvollen (seltene Kombination . . .) Theologen und Philologen kennen- und lieben lernte: Carl Wilhelm Schütz (1805-1892).
Der hatte zweimal (1823 und 1826) »Goethes erhabene Gestalt« gesichtet, wie er ergriffen notierte. Der Olympier, umgekehrt, kritzelte schnörkellos ins Tagebuch: »Schütz von Bückeburg«.
Der Predigersohn Carl Wilhelm Schütz aus Bückeburg, dessen Leben vom Bielefelder Roland Köhne in den »Ravensberger Blättern« (April 1988) skizziert wurde, war mit zwölf nach Frille gekommen (Petershagen-Frille bei Minden), studierte seit 1823 in Halle und fing angesichts der glutvollen Dame aus dem eisigen Norden sofort Feuer. Am 24. Mai 1831 traute Schütz' Vater das Paar in Frille. Das schönste Hochzeitsgeschenk wird die Ehrendoktorwürde der Universität Jena gewesen sein, die dem begabten Sanskritforscher eine glänzende Laufbahn eröffnete.
Schütz soll sieben, acht lebende Sprachen beherrscht haben, dazu Sanskrit. 1834 wurde er nach Bielefeld berufen, aber Bielefeld war preußisch, und was ein echter Preuße ist, der muss durch die Stahlgewitter staatlicher Prüfungen gegangen sein. Ein paar Vokabeltests später befand des Königs Kommission, »daß der Candidat den Unterricht in der französischen und englischen Sprache auf allen Klassen eines Gymnasiums mit entschiedenem Nutzen für die Jugend ertheilen« könne.
Reichtümer allerdings häufte so ein Schulmeisterlein nicht an. Der beliebte Lehrer, der in Gadderbaum 108 Wohnung genommen hatte (vor den Toren Bielefelds gab es keine herkömmlichen Anschriften, nur Hausstellen), lud ältere Schüler zu Shakespeare-Abenden nach Hause ein, musste die kostspielige Bewirtung aber bald aufgeben. So spannend war der Englischunterricht bei »Mister Schütz«, dass auch Schülerinnen den englischen Dichter kennenlernen wollten. Der Pädagoge hatte Bedenken - es gab da doch ein paar »Anstößigkeiten« im Text. Man behalf sich damit, die nicht mädchentauglichen Stellen rot zu markieren . . .
Im Alter von 54 Jahren erblindete Schütz, ließ sich aber erst zwei Jahre später pensionieren und wirkte unermüdlich als Übersetzer fort. Anlässlich der Goldenen Hochzeit des Paares machten sich die Gadderbaumer Gedanken, wie man den »kloken Docter« wohl ehren könne. Man diskutierte eine weiße Girlande, die vom Johannisberg bis zum Sparenberg gespannt werden sollte, mit der Inschrift »Vivat hoch!« direkt über dem Dach des Schütz-Hauses. »Ich gläube, he werd sick met siener Frubben, de is do achter hiär, wo de Walfiske bie dat Ihs herrumspitakelt, unwiese fröggen«, mutmaßte das Volk, wie im »Bielefelder Tagblatt« vom 23. Mai 1981 zu lesen war.
Die »schöne Isländerin«, ihr Ehrentitel auch in Bielefeld, segnete 1986 das Zeitliche; ihr Mann folgte ihr sechs Jahre später. Da waren von den acht Kindern nur noch zwei am Leben. Mit Schütz »sank der letzte Vertreter einer Generation ins Grab, die das Studium des Sanskrit in Deutschland begründete«, notierte betrübt der Redakteur der »Vossischen Zeitung« - selbst im fernen Berlin wusste man damals, dass in Gadderbaum das Licht der Wissenschaft leuchtete.

Artikel vom 19.10.2006