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Professor Tibi resigniert vor der
Bilanz eines verlorenen Lebens

Islam-Experte verlässt verbittert Deutschland - Kritik an der Uni Göttingen

Von Dirk Schröder
Göttingen (WB). Mit dem Gedanken, ins Exil in die USA zu gehen, trägt sich der Göttinger Professor Bassam Tibi, einer der führenden Islam-Experten, schon längere Zeit. Er fühlt sich als deutscher Muslim hierzulande nicht anerkannt.

Schon im Mai auf einem Bertelsmann-Forum in Gütersloh deutete der gebürtige Syrer, der seit 44 Jahren in Deutschland lebt, an, auswandern zu wollen. Damals stellte Tibi aus eigener Erfahrung verbittert fest, auch wenn man die Sprache beherrsche, sei man trotzdem nicht integriert. »Die Fremdenfeindlichkeit des Alltags ist viel schlimmer als die, die für Schlagzeilen sorgt.«
In diesen Tagen hat Tibi jetzt verkündet, dass er schon bald Deutschland den Rücken kehren und künftig ausschließlich an der amerikanischen Cornell University lehren werde.
In seinem »Bericht über ein scheinbar verlorenes Leben im Dienst der deutschen Universität« rechnet er scharf mit der Georg-August-Universität in Göttingen ab, wo er laut Universitätspräsident zu den »Schwachstellen« gehören soll. »Meine Liebe zu Deutschland und seiner Universität wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht mit Gegenliebe, sondern mit Ausgrenzung und Verachtung erwidert. In Göttingen habe er seit 1973 nie Gutes erfahren. Seine Habilitanden seien blockiert worden, ihm seien Bleibeverhandlungen bei Berufungen aus dem Ausland verweigert worden. »Das ist die Bilanz eines verlorenen Lebens in Deutschland.« Er fühle sich als »Gastarbeiter niedrigster Stufe«.
Seine Auswanderung sei aber nicht vorrangig durch das »Göttinger Elend« bedingt, stellt Professor Tibi in einem Beitrag für den Berliner »Tagesspiegel« fest. Auf Dauer fühle er sich fremd in diesem Land. »Ich wandere aus, weil ich dieses Fremdsein nach 44 Jahren nicht mehr ertrage.« Klar sei auch, dass er kein Einzelfall sei. Die Mehrheit der hier lebenden »Ausländer« sei als fremd einzuordnen.
Er habe es satt, ein »Syrer mit deutschem Pass« zu sein, der seinem miesepetrigen Gastvolk dafür danken solle, dass ihm die Erfüllung des »deutschen Bürgertraums«, wie die »Zeit« schrieb, gewährt worden sei. »Aber das Leben eines Professors an der Provinzuniversität Göttingen als deutschen Bürgertraum zu bezeichnen, ist erbärmlich«, spart Tibi nicht mit drastischen Vokabeln.
Der Professor ist schwer enttäuscht darüber, dass »nach 40 Jahren des Schaffens an einem modernen Islam, an Konzepten der Integration und an einem zivilgesellschaftlichen Konsens« seine Bücher als semiwissenschaftlich tituliert werden. Tibi: »Wenn der Bundestagspräsident die Leitkulturdebatte - ohne meinen Namen als Schöpfer des Begriffs zu nennen - neu beleben will, die Kanzlerin mich von ihrem Integrationsgipfel ausschließt und der Innenminister einen verhunzten deutschen Islam dem europäischen Islam vorzieht, dann frage ich mich, was ich hier soll.«
Er habe es in der niedersächsischen Universitätsstadt nur aus Liebe zu seiner Göttinger Frau, die an ihre Familie gebunden gewesen sei, so lange ausgehalten. Er möchte aber Deutschland nicht verlassen, ohne ein weiteres Liebensbekenntnis auszusprechen: »Trotz aller Kränkungen bedeutet mir dieses Land - und noch mehr seine Sprache und seine Kultur - außerordentlich viel.«

Artikel vom 10.10.2006