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Hildebrand auf dem Prüfstand

Fußball-Nationalelf: Torwart Nummer 2 fühlt sich verfolgt und wird nervös

Von Klaus Lükewille
Stuttgart (WB). In Rostock stand er mit der »12« im deutschen Tor. In Bratislava saß er als Nummer zwei auf der Bank. In Stuttgart trägt Timo Hildebrand am 7. Bundesliga-Spieltag endlich wieder die »1«.

Erste Wahl möchte der 27-jährige Schlussmann auch sein, wenn Jens Lehmann den Kasten räumt. Die Karriereplanung des Schwaben sieht so aus: Nach der EM-Endrunde 2008, die der WM-Dritte erreichen sollte, will er endgültig aufsteigen. Das lange Bankdrücken hat sich für deutsche Ersatztorleute schließlich immer gelohnt. Andreas Köpke, Oliver Kahn oder Jens Lehmann, sie alle wurden zuletzt befördert. Das war einmal.
Denn Hildebrand bekommt vom Bundestrainer keine Arbeitsplatz-Garantie mehr. Joachim Löw sieht es so: »Ich lege mich da nicht fest. Nichts ist zementiert.« Und die Position des Stuttgarters beginnt schon leicht zu bröckeln: Es gibt Konkurrenten, die hier inzwischen gewaltig auf den Putz hauen. Die gemütlichen Zeiten als Nummer drei, die sind für Hildebrand vorbei. Nach dem Abschied von Kahn rückte er auf.
Und es gibt jetzt eine neue Druck-Situation, mit der er fertig werden muss: Lehmann immer noch vor sich - und weitere Kandidaten im Nacken.
Hildebrand versucht, mit gekünstelter Lässigkeit diese veränderte Personal-Lage zu überspielen: »Ach, was soll's. Es sind immer wieder Torleute aufgetaucht oder ins Gespräch gebracht worden.« Aber noch nie so viele auf einmal. Gleich vier Konkurrenten versuchen, dem Schlussmann den Platz im DFB-Aufgebot abzujagen.
Neben Robert Enke (Hannover 96), der zuletzt beim Freundschafts-Länderspiel in Rostock gegen Georgien (2:0) auf der Bank Platz nehmen durfte, stehen Roman Weidenfeller (Borussia Dortmund), Tim Wiese (Werder Bremen) und Raphael Schäfer (1. FC Nürnberg) auf der Liste.
Köpke, der einst selbst eine lange Wartezeit hinter Bodo Illgner absitzen musste, weiß, wovon er redet: »Jeder muss sich stellen und immer wieder bewähren.« Der Europameister von 1996 arbeitet inzwischen als Torwart-Trainer beim DFB und spricht ein wichtiges Wort mit, wenn es um die deutsche Kasten-Frage geht.
Er schaute deshalb besonders genau hin, als Hildebrand jetzt im Ostsee-Stadion sein viertes Länderspiel absolvierte. Der Köpke-Kommentar, eine Bewertung der Kategorie vorsichtig und neutral: »Timo wurde leider nicht häufig geprüft und konnte deshalb seine Klasse nicht zeigen.«
Da hatte der Chef seinen breiten Torwart-Handschuh über die Nummer 2 gehalten, denn in den Medien lasen sich die Kritiken anders. Der »Kicker« verpasste Hildebrand nur eine 4, in der »Süddeutschen Zeitung« wurde ihm nicht gerade ein souveräner Auftritt attestiert. Und als der ZDF-Reporter den Schlussmann unmittelbar nach Abpfiff auf Unsicherheiten ansprach, da wurde der sonst so nette Hildebrand richtig giftig: »Unsicherheiten? Was für Unsicherheiten? Nennen Sie mir doch mal ein paar!«
Die waren in Rostock zu sehen. Pluspunkte hat er an der Ostsee nicht sammeln können, er selbst schätzte seine Vorstellung natürlich ganz anders ein: »Ich habe keine Fehler gemacht, habe mich aber auch nicht groß auszeichnen können. Trotzdem war es ein großer Spaß, mal wieder im deutschen Tor stehen zu dürfen.«
Wie oft noch? Hildebrand mimt zwar gern den Gelassenen, aber er ist nervös geworden. Er weiß, dass er von sofort an noch mehr auf dem Prüfstand steht. Und er glaubt, dass einige nur auf Fehler warten: »Da läuft eine Aktion gegen mich.« Sind das etwa erste Ansätze von Verfolgungswahn? Dabei ist Hildebrand überzeugt: »Der Löw macht da nicht mit. Ich vertraue ihm. Und er kann mir vertrauen.«
Vielleicht. Aber Kontrolle soll ja noch besser sein. Die Nummer 2 muss möglichst viel halten und es schon aushalten: Auch der Bundestrainer hat ihn fester im Blick.

Artikel vom 14.10.2006