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Sie jetzt erneut mit demselben Anliegen zu bedrängen, käme der Belästigung gleich, als wäre er ein quengeliges Kind. Und wenn er es während seiner Krankheit getan hätte, wäre er sich vorgekommen, als appelliere er an ihr Mitleid.
Außerdem war da noch ihre Freundin Clara, die ihn nicht mochte und die bestimmt versucht hatte, sie gegen ihn einzunehmen. Emma war nicht leicht zu beeinflussen, aber vielleicht übertrug Clara ja auch die eigenen, nur halb eingestandenen Bedenken auf Emma. Er wusste, bei ihrem Wiedersehen würde Emma sagen, dass sie ihn liebte. Zumindest dessen war er sich gewiss. Und was dann? Sätze, die andere Frauen in der Vergangenheit zu ihm gesagt hatten und die er ohne Schmerz und mitunter mit Erleichterung gehört hatte, hallten ihm durch den Kopf wie eine Litanei des Versagens.


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arling, es war wunderbar, aber wir haben doch beide gewusst, dass es nicht für ewig war. Wir leben ja nicht mal in derselben Stadt. Und wo ich jetzt den neuen Job habe, kann ich nicht weiter meine freien Abende so verplanen.
Wir haben gemeinsam etwas Schönes erlebt, aber dein Job kommt immer zuerst. Entweder die Arbeit oder deine Schriftstellerei. Sehen wir der Wahrheit ins Gesicht und beenden wir das Ganze, ehe einer von uns wirklich verletzt wird. Und wenn es dich doch verletzt, kannst du ja immer noch ein Gedicht darüber schreiben.
Ich werde dich immer lieben, Adam, doch du kannst dich einfach nicht auf eine Beziehung einlassen. Einen Teil von dir hältst du immer zurück, und gerade der ist wahrscheinlich das Beste an dir. Daher müssen wir uns trennen.
Emma würde ihre eigenen Worte finden, und er machte sich innerlich darauf gefasst, wollte das Ende seiner Hoffnungen mit Würde und klaglos hinnehmen.


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er Hubschrauber schien unendlich lange in der Luft zu schweben, ehe er endlich genau in der Mitte der Kreuzmarkierung aufsetzte. Es dauerte noch mal eine Weile, bis die Rotorblätter schließlich stillstanden. Dann ging die Tür auf, und Emma erschien, und nach ein paar zögerlichen Schritten kam sie in seine Arme gelaufen. Er konnte das Pochen ihres Herzens spüren, konnte sie flüstern hören: »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich«, und als er den Kopf beugte, waren ihre Tränen warm auf seiner Wange.


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och als sie aufschaute und ihm in die Augen sah, war ihre Stimme fest. »Darling, wenn Father Martin uns trauen soll - und wenn du damit einverstanden bist, fände ich das schön -, dann sollten wir möglichst bald einen Termin festsetzen, sonst ist er vielleicht zu alt, um noch zu reisen. Willst du ihm schreiben oder soll ich?«
Er zog sie noch fester an sich und neigte den dunklen Kopf zu ihrem. »Weder noch. Wir fahren beide zusammen zu ihm. Morgen.«
Kate, die mit ihrem Gepäck am Hintereingang des Hauses wartete, hörte sein jubelndes Lachen, es hallte laut über die Landzunge.
Und jetzt waren sie und Benton bereit zur Abreise. Benton hängte sich seine Tasche über die Schulter und sagte: »Zurück ins wirkliche Leben.«


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iranda und Tremlett hatten mit Yelland bereits am Vortag das Boot genommen, doch Dalgliesh hatte noch einiges mit Maycroft zu klären gehabt, und der Rest seiner Mannschaft war über diese letzten ungestörten Stunden froh gewesen. Plötzlich war der Rest der kleinen Gruppe bei ihnen. Alle waren gekommen, um ihnen eine gute Heimreise zu wünschen. Sie hatten schon zuvor jedem einzeln Lebewohl gesagt, und Rupert Maycroft hatte Kate mit seinen Abschiedsworten verblüfft.


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r war allein in seinem Büro gewesen, hatte ihr die Hand hingestreckt und gesagt: »Ich wünschte, ich könnte Sie einladen, uns mal wieder zu besuchen, aber das ist nicht gestattet. Ich muss mich schließlich an die Regeln halten, wenn ich das von den Mitarbeitern erwarte. Doch es wäre schön, Sie wieder zu sehen.«
Kate hatte gelacht: »Ich bin kein Promi. Aber ich werde Combe nicht vergessen. Und es sind nicht nur schlechte Erinnerungen. Ich war hier sehr glücklich.«
Nach einer kurzen Pause hatte er gesagt: »Nicht zwei Schiffe, die nachts aneinander vorbeifahren, sondern zwei Schiffe, die eine Zeit lang miteinander segeln, aber immer verschiedene Häfen ansteuern.«


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algliesh und Emma standen Seite an Seite und warteten auf sie. Etwas war ein für alle Mal zu Ende gegangen, das spürte Kate, der kleine Hoffnungsfunken war erloschen, den sie sich gegönnt hatte, obwohl er, wie sie immer gewusst hatte, fast so unrealistisch war wie ihr Kindheitstraum, dass ihre Eltern nicht tot waren, sondern eines Tages kommen würden, ihr Vater am Steuer eines glänzenden Autos, um sie für immer von den Ellison Fairweather Buildings fortzubringen. Diese trostreiche Illusion, die sie als Kind gehegt hatte, war mit den Jahren verblasst, durch ihre Arbeit, ihre Wohnung, die Befriedigung, die der Erfolg ihr brachte, und durch eine zwar rationalere, aber noch immer zerbrechliche Hoffnung ersetzt worden. Jetzt ließ Kate diese Hoffnung los, mit Bedauern, aber ohne Schmerz.


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ine Wolkenbank hing niedrig am Horizont. Der kurze Spätsommer war längst vorbei. Der Hubschrauber hob schwerfällig ab und beschrieb einen letzten Kreis über der Insel. Die winkenden Figuren wurden zu Puppen und wandten sich eine nach der anderen ab. Kate blickte nach unten auf die vertrauten Gebäude, die so gedrungen wirkten wie Modellhäuschen oder Kinderspielzeug: die großen Bogenfenster von Combe House, das Stallgebäude, in dem sie gewohnt hatte, Seal Cottage mit seinen Erinnerungen an die abendlichen Gespräche, die kleine Kapelle und der strahlend helle Leuchtturm mit seiner roten Kuppel, das bezauberndste Spielzeug von allen. Combe Island hatte sie auf eine Art und Weise verändert, die sie selbst noch nicht recht verstand, aber sie wusste, sie würde die Insel nie wieder sehen.
Für Dalgliesh und Emma, die hinter ihr saßen, war dieser Tag ein neuer Anfang. Vielleicht hielt die Zukunft ja auch für sie selbst ungeahnte Möglichkeiten bereit. Entschlossen richtete Kate den Blick gen Osten, nach London, auf ihren Job, während der Hubschrauber sich hoch über einen weißen Wolkenkamm in die flimmernde Luft schwang.












ENDE

Artikel vom 30.10.2006