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Sprache auf Talfahrt: verkorkst und verroht,
verchattet und
verdenglischt.

Leitartikel
Frankfurter Buchmesse

Habenichtse,
Gotteskrieger
und Perlen


Von Bernhard Hertlein
»Habenichtse«? Haben wir nicht. Alles ausverkauft. Vielleicht in 14 Tagen. Der Verlag tut, was er kann. Aber selbst Suhrkamp hat nicht mit einer solchen Nachfrage gerechnet. Dabei erhielt Katharina Hacker »nur« den Deutschen Buchpreis, ein noch junges Kind der Frankfurter Buchmesse, erst zum zweiten Mal vergeben.
Waren wir nicht der Meinung, auf der schrägen Ebene von PISA könne es nur noch bergab gehen? Vier Millionen Analphabeten in Deutschland. Der Rest: keine Zeit. Keine Lust. Kein Verständnis fürs Lesen. Habenichtse, die man nicht bedauern muss, weil sie nichts vermissen. Aber sie schicken die deutsche Sprache auf Talfahrt: verkorkst und verroht, verchattet und verdenglischt.
Und nun das: eine Buchmesse mit einer Rekordzahl an Neuerscheinungen. Und einer Rekordzahl an Ausstellern. Und steigenden Verkaufszahlen. Und ausverkauften Bestsellern. Gerade noch war man der Meinung, die Zahl der Literaturverbraucher gehe unwiederbringlich zurück. Und nun ist gedruckte Literatur plötzlich Mangelware.
Den Habenichtsen in Hackers Roman mangelt es vor allem an geistiger Orientierung. An echten Idealen. An glaubwürdigen Gefühlen. Der 11. September erschüttert diese kleine Welt nicht wirklich. Das Leben geht weiter - meistenteils ohne Ziel.
Wie Hacker streifen viele Autorinnen und Autoren das Thema Terrorismus am Rande. Wenige rücken es so in den Mittelpunkt wie John Updike. Und gerade sein Versuch, die Psyche eines jungen Terroristen zu fassen, fällt bei fast allen Kritikern durch. . .
Spannender und gewinnbringender ist da die Auseinandersetzung des indischen Schriftstellers Kiran Nagarkar mit religiösem Fundamentalismus. Die Romanfigur Zia -Ê»Gottes kleiner Krieger« - lebt vor, dass Fanatismus nicht an eine Religion gebunden ist. Der Knüppel »Das Böse« wird nicht nur von einer Seite gegen Andersdenkende eingesetzt.
Thesen wie diese lösen Diskussionen aus. Der Herbst 2006 ist voll von Debatten über interessante Bücher. Nicht immer haben die, die sich daran beteiligen, die Werke wirklich schon gelesen. Bei Günter Grass (Häuten der Zwiebel) und Eva Herman (Das Eva-Prinzip) kann man fast vom Gegenteil ausgehen.
Natürlich war die Buchmesse auch ein Basar. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Ein Rummelplatz für Stars, die nicht unbedingt in erster Linie Literaturverbraucher ansprechen. Hier Heiner Geißler. Dort Claudia Roth. Hier Harpe Kerkeling. Dort Henry Maske. Na, und?
Solche »Buchstützen« brauchen die Verlage. Unter ihnen gibt es so noch - im sozialen Sinne - genug kleine Habenichtse. Alle brauchen ein Urheberrecht, das einfaches Kopieren ins Internet durch Google & Co. verbietet.
Da ist die Politik gefordert. Bezahlte Häppchen als Appetitanreger sind willkommen, Schmarotzertum nicht.

Artikel vom 09.10.2006