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Der letzte große Schamane

Schriftsteller Oskar Pastior ist in Frankfurt gestorben

Frankfurt/Bielefeld (dpa). Der Schriftsteller und diesjährige Georg-Büchner-Preisträger Oskar Pastior ist überraschend im Alter von 78 Jahren gestorben. Der rumäniendeutsche Lyriker erlag offenbar einem Herzversagen.

Wie eine Sprecherin des Hanser Verlags auf der Buchmesse gestern bestätigte, starb Pastior am Vorabend bei Freunden in der Mainmetropole. Kultstatus erreichte Pastior in der Lyrikszene mit dem musikalischen Lautgedicht und seiner Wortakrobatik. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) würdigte ihn als »einen der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit«, der mit seiner Sprachkunst »ganze Kontinente unserer Sprache neu entdeckt hat«. Der gefeierte Autor war Mitbegründer des Colloquiums Neue Poesie in Bielefeld und somit häufiger Gast in der Leinenstadt. Am 1. November hätte er erneut Gast sein sollen,und zwar im Rahmen der Bielefelder Literaturtage.
Pastior wollte auf der Buchmesse zusammen mit der ebenfalls aus Rumänien stammenden Schriftstellerin Herta Müller Texte über die Deportation von Rumäniendeutschen in die Ukraine vortragen. Der autobiografische Text über diese Zeit wäre sein letztes Prosabuch geworden, sagte die Verlagssprecherin.
Der Verleger des Carl Hanser Verlags, Michael Krüger, nannte Pastior einen »der letzten großen Schamanen« der experimentellen Literatur. Es sei Pastiors sehnlichster Wunsch gewesen, seine mehr als 30 Werkbände in einer Gesamtausgabe zu präsentieren. Der mit 40 000 Euro dotierte Büchner-Preis, die bedeutendste deutsche Literaturauszeichnung, wird Pastior jetzt von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung am 21. Oktober in Darmstadt posthum verliehen.
Der in Rumänien geborene Pastior, der seit 1969 in Berlin lebte, galt als einer der renommiertesten Lyriker der Gegenwart. Er wurde vor allem mit seiner vom Dadaismus geprägten experimentellen Form der Dichtkunst, seinen »Lautmalereien«, bekannt. Besonders gern spielte er mit Anagrammen (Wortumbildungen) und Palindromen, also Wortfolgen, die vor- wie rückwärts gelesen Sinn ergeben - wie zum Beispiel Sarg (Gras) oder Reittier (Reittier).
Pastior wurde am 20. Oktober 1927 als Angehöriger der deutschen Minderheit im rumänischen Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren, wo er zum Ehrendoktor ernannt wurde. Seit 1969 lebte er in Berlin, wo er zuletzt gemeinsam mit Herta Müller an einem autobiografischen Roman arbeitete.

Artikel vom 06.10.2006