06.10.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Edmund Stoiber will sich den endgültigen Gesetzestext ja noch gründlich durchlesen.

Leitartikel
Gesundheitskompromiss

Alle lassen
sich eine
Tür offen


Von Dirk Schröder
»Ich bin ja geübt, über Desaster zu schreiben, aber es sollte zumindest einen Hoffnungsschimmer geben.« Das nächste Buch von Frank Schätzing, Autor des Katastrophenthrillers »Der Schwarm«, wird nach eigenen Angaben mit Sicherheit nicht von der Gesundheitsreform handeln.
Man kann den Erfolgsautor ja verstehen, denn was die große Koalition gestern stolz als Jahrhundertreform präsentierte, entpuppt sich bei näherem Hinsehen doch nur als ein Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Der Gesundheitskompromiss unterstreicht einmal mehr, was der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger schon vorher in brutal ehrlicher Weise geäußert hat: In der großen Koalition gibt es keine Lösung aus einem Guss und keine gemeinsame Richtung.
Und nicht minder entlarvend stellte gestern Thüringens Regierungschef Dieter Althaus (CDU) fest, dass weder die Union noch die SPD aus diesem System ihre politischen Vorstellungen wirklich umsetzen kann.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) - »es ist eine wirklich große Reform« - und SPD-Fraktionschef Peter Struck - »eine revolutionäre Neuregelung des Gesundheitssystems« - können auch mit noch so euphorischen Äußerungen dem Bürger keinen Sand in die Augen streuen.
Wochenlang hat es ein unwürdiges Gezerre um die Gesundheitsreform gegeben. Denn nichts anderes war es doch, auch wenn die Beteiligten gern von einer notwendigen Diskussion sprachen. Und dann soll über Nacht daraus das Jahrhundertwerk entstehen?
Die Ausgangslage war doch klar. Mit leeren Händen wollte man nach diesem nächtlichen Verhandlungsmarathon nicht darstehen, und niemand wollte die große Koalition zum Platzen bringen. Also musste man etwas vorweisen. Hat man ja auch. Einige wenige Einzelprojekte werden in Angriff genommen wie die Öffnung des bisher abgeschotteten Markt der privaten Versicherungen.
Doch die Probleme im Gesundheitswesen werden nicht gelöst. Als erstes wird der Bürger spüren, dass die Krankenkassen-Beiträge steigen, und das schon bald.
Verschoben wird der sogenannte Gesundheitsfonds - von den Beteiligten doch immer Herzstück der Reform genannt. Um eine Ausrede dafür war man auch nicht verlegen. Der ach so großartige Fonds soll mit dem neuen Finanzausgleich der Kassen und der neuen Gebührenordnung der Ärzte in Kraft treten.
Wenn das kein Grund ist. An die Landtagswahlen, die 2008 noch dazwischen liegen, hat man dabei angeblich nicht gedacht - oder etwa doch? Und 2009 sind Bundestagswahlen. Ob dies ein guter Zeitpunkt für die Einführung des Gesundheitsfonds ist?
Jetzt hat man erst einmal etwas vorzuweisen. Mal sehen, was daraus wird. Bayerns Regierungschef Edmund Stoiber will sich den endgültigen Gesetzestext ja noch einmal gründlich durchlesen.

Artikel vom 06.10.2006