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Neue Krisenängste in Ostasien

Atomtest verkündet: Nordkorea läuft Gefahr, »rote Linie« zu überschreiten

Von Dirk Godder und
Lars Nicolaysen
Seoul/Tokio (dpa). Nordkoreas Ankündigung eines Atomwaffentests hat in Ostasien neue Krisenängste geschürt.

Nachdem bereits Warnungen vor neuen nordkoreanischen Raketentests im Juli ihre Wirkung verfehlt hatten, schwinden nun die Hoffnungen, das Regime in Pjöngjang auch vor einem Atomtest abhalten zu können. Damit läuft das isolierte Nordkorea jedoch nach Ansicht von Beobachtern Gefahr, eine »rote Linie« zu überschreiten.
In Südkorea oder auch in Japan sind die Menschen besorgter denn je, dass ein Nuklearversuch das Sicherheitsgefüge in der Region durcheinander bringen und ein neues Wettrüsten auslösen könnte. Während die bloße Ankündigung sofort eine Diskussion über mögliche Konsequenzen eines Atomtests ausgelöst hat, droht der Spielraum für eine diplomatische Lösung immer kleiner zu werden.
Noch sei es allerdings zu früh, über konkrete Maßnahmen zu sprechen, solange kein Test erfolgt sei, sagte der südkoreanische Vizeaußenminister Yu Myung Hwan. Doch wies er auf die Möglichkeit einer neuen, schärferen Resolution des Weltsicherheitsrats als im Fall der Raketentests im Juli hin. Wie Südkorea versucht auch Japan im engen Schulterschluss mit seinem militärischen Bündnispartner USA, auf eine neue Erklärung des UN-Sicherheitsrates mit dem Ziel hinzuwirken, Nordkorea diesmal zur Einsicht zu bringen.
Nach Einschätzung Yus könnte eine neue Resolution den Verweis auf Kapitel 7 der UN-Charta einschließen, was Sanktionen und auch einen Militäreinsatz nach sich ziehen könnte. Ob allerdings China, das die Verurteilung der nordkoreanischen Raketentests mitgetragen hatte, eine neue Initiative unterstützt, gilt als zweifelhaft.
Die Atommacht China dürfte auf einen Nukleartest in Nordkorea nach Einschätzung von Beobachtern eher mit Zurückhaltung reagieren. Peking predigt als Vermittler seit Monaten unbeirrt eine Rückkehr zu den Sechs-Länder-Gesprächen zwischen Nordkorea, den USA, China, Südkorea, Japan und Russland. Die Frustration über den störrischen Nachbarn und traditionellen Freund scheint aber auch in China zu wachsen. »Wir haben wenig Einfluss«, räumte das Außenministerium ein.
In Tokio meinen politische Beobachter, ein Atomwaffentest Nordkoreas könnte nicht nur weitere Sanktionen durch Japan bewirken. Es gilt auch als möglich, dass er sogar eine Debatte in Japan anfachen könnte, ob das Land sich nicht eines Tages selbst mit Atomwaffen schützen sollte. Tokio hatte nach den Raketentests Finanzsanktionen gegen Nordkorea ergriffen.
Südkorea steckt nach einhelliger Auffassung in einem Dilemma. Seoul riskiert eine deutliche Verschärfung der Spannungen auf der Halbinsel, falls es sich bei einem Atomtest Sanktionen der USA und Japans anschließt und Kooperationsprojekte als Druckmittel gegen den Nachbarn stoppt. Andererseits will Südkorea durch praktische Schritte deutlich machen, dass weitere »Provokationen« durch Nordkorea nicht geduldet werden.

Artikel vom 05.10.2006