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Merkel: Türkei soll Häfen öffnen

Ohne Zugang für zyprische Schiffe kein Fortschritt in Beitrittsverhandlungen

Ankara (Reuters). Beim Antrittsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Türkei hat sich noch keine Annäherung in der Krise um die Beitrittsverhandlungen zwischen Europäischer Union (EU) und der Türkei abgezeichnet.

Merkel sagte gestern nach einer ersten Begegnung mit Ministerpräsident Tayyip Erdogan in Ankara, ohne den freien Zugang für Flugzeuge und Schiffe des EU-Mitglieds Zypern zur Türkei könne es in den Verhandlungen keine Fortschritte geben.
Erdogan wies die Forderung als einseitig und ungerecht zurück. Zugleich äußerte er die Erwartung, dass Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr die Türkei bei ihren Beitrittsbemühungen weiter unterstützen werde.
Merkel wie Erdogan hoben die engen wirtschaftlichen Beziehungen hervor und sagten weitere Anstrengungen zu, um die Integration von Türken in der Bundesrepublik stärker zu fördern. Die Kanzlerin war mit militärischen Ehren empfangen worden. Sie begrüßte die Soldaten auf türkisch.
Heute stehen in Istanbul Wirtschaftsgespräche sowie Treffen Merkels und Erdogans mit den Führern der drei großen Religionsgruppen des Landes auf dem Programm.
Die seit einem Jahr laufenden Beitrittsverhandlungen stecken in ihrer bislang schwersten Krise. Die EU fordert von der Türkei, die Zollunion voll anzuwenden und Häfen und Flughäfen auch für Schiffe und Flugzeuge Zyperns zu öffnen. Bislang lehnt die türkische Regierung das ab und verlangt, dass zuvor Handelserleichterungen zwischen EU und dem türkischen Teil der Mittelmeerinsel umgesetzt werden.
Sollte es keinen Kompromiss geben, könnten vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Beitrittsgespräche ausgesetzt werden.
Merkel sagte, es sei selbstverständlich, dass zu einer Kooperation unter EU-Mitgliedern freie Handelsbeziehungen mit ungehindertem Zugang zu Häfen und Flughäfen gehörten. Die entsprechenden Vereinbarungen des so genannten Ankara-Protokolls müssten erfüllt werden. »Ich hoffe, dass wir ein schwieriges Problem auch gelöst bekommen«, sagte sie und verwies auf positive Reaktionen der Türkei auf einen Vorschlag der finnischen EU-Ratspräsidentschaft. Die Lösung sei »eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir dann auch weiterkommen können bei der Frage der EU-Verhandlungen«.
Erdogan erwiderte, das Ankara-Protokoll sei keine einseitige Angelegenheit, die nur die Türkei erfüllen müsse. Ganz besonders die Isolation Nordzyperns müsse beendet werden. Bevor dies nicht geschehen sei, könnten an die Türkei keine Bitten herangetragen werden. Das wäre nicht gerecht, sagte der Regierungschef.
Er dankte Merkel ausdrücklich für die Unterstützung Deutschlands bei der Heranführung seines Landes an die EU. Beide Länder müssten alles tun, um den EU-Integrationsprozess zu beschleunigen. Merkel und Erdogan betonten übereinstimmend die guten Wirtschaftsbeziehungen beider Länder. Es gebe sehr hohe Erwartungen an der Ausweitung der wirtschaftlichen Kooperation auf allen Gebieten, militärisch wie zivil, sagte die Kanzlerin, die von einer Delegation von 20 Unternehmern begleitet wird.
Merkel lobte die Bemühungen der Türkei, etwa durch Sprachkurse einen Beitrag zur besseren Integration türkischer Übersiedler in Deutschland zu leisten. Beide Seiten wollten auch den kulturellen Dialog fortsetzen, um Integrationshindernisse abzubauen.
Auch in ihrer Rede bei einem gemeinsamen traditionellen Mahl zum Fastenbrechen plädierte die Kanzlerin in Istanbul für einen breit angelegten kulturellen und religiösen Dialog zwischen beiden Ländern. Glaubensfragen dürften in einem Dialog zwischen beiden Ländern nicht ausgeklammert werden, forderte Merkel. »Denn für viele Menschen gehört dies zu ihrer Identität, zu ihren Wurzeln.«

Artikel vom 06.10.2006