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»Die deutsche
Einheit ist ein
Geschenk«

Tiefensee mahnt mehr Geduld an

Kiel (dpa). Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat am Montag in Kiel das Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit eröffnet. »Unsere Deutsche Einheit ist eine Einheit der Vielfalt«, sagte Carstensen zu zehntausenden Besuchern an der Kieler Förde.

Carstensen, der derzeit auch Bundesratspräsident ist, begrüßt an diesem Dienstag Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert sowie den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in Kiel.
Die Parteien würdigten die friedliche Revolution in der DDR 1989. Der gemeinsame Alltag sei »ein Beweis dafür, wie viel wir bei der Überwindung der Teilung schon geschafft haben«, hieß es im SPD-Präsidium. FDP-Chef Guido Westerwelle erinnerte daran, dass die Demonstranten von Leipzig und Berlin »der Geschichte Europas ein eindruckvolles Kapitel der Zivilcourage und des Freiheitswillens« hinzugefügt haben.
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt allerdings warf der Bundesregierung Tatenlosigkeit beim Aufbau Ost vor. »In Berlin gibt es keine neuen Ideen mehr zum Aufbau Ost«, kritisierte der CDU-Politiker. »Und die vorhandenen Konzepte werden nicht konsequent durchgesetzt.«
Der für die neuen Länder zuständige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee mahnte zu mehr Geduld. »Man darf bei den Menschen nicht den Eindruck erwecken, als könne man im Handumdrehen diese Probleme lösen«, sagte der SPD-Politiker. »Das wird wohl 15, 20 Jahre dauern.«
Tiefensee wies den Vorwurf der Ideenlosigkeit zurück. Bis ins Jahr 2019 würden wie vorgesehen 156 Milliarden Euro über den Solidarpakt in den Aufbau Ost fließen. »Aber es fällt einer Reihe von Bundesländern noch schwer, dieses Geld zielgenau einzusetzen.
»Diese Länder müssen so schnell wie möglich auf den Pfad der Tugend kommen. Die Sorgen in den ostdeutschen Regionen sind nach wie vor sehr sehr groß.« Menschen, die gerne ihr Geld selber verdienen würden, »bekommen es alimentiert in die Tasche gesteckt«. Gleichwohl sei die Einheit »ein wunderbares Geschenk«.
Die historische Dimension der Wiedervereinigung wird nach Ansicht von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) oft nicht richtig gewürdigt. »Wenn zwei Drittel aller Deutschen im Tag der deutschen Einheit keinen Grund zum Feiern sehen, muss man nach den Gründen fragen«, sagte Ringstorff.
Er könne aber die Unzufriedenheit darüber nachvollziehen, dass die Einheit noch nicht voll verwirklicht ist. Die meisten Menschen hätten seit 1990 starke Veränderungen in den Familien und im Arbeitsleben erfahren, die Arbeitslosigkeit sei hoch.
Nach einer aktuellen Umfrage fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Ostdeutschen als »Bürger zweiter Klasse«. 74 Prozent beantworteten die entsprechende Frage des Bielefelder Meinungsforschungsinstitutes Emnid mit »ja«. Nur 26 Prozent der Ostdeutschen fühlten sich als vollwertige Bürger akzeptiert.Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 03.10.2006