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ÖVP spricht Schüssel trotz
Niederlage Vertrauen aus

Gusenbauer erhält in Österreich Auftrag zur Bildung einer Regierung

Wien (dpa). Einen Tag nach ihrer schweren Niederlage bei der Nationalratswahl hat die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) ihrem Vorsitzenden, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, das Vertrauen ausgesprochen.

Nach Angaben des österreichischen ORF-Fernsehens beauftragte der ÖVP-Vorstand Schüssel am Montag, mit den Sozialdemokraten (SPÖ) Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Schüssel hatte dem Vorstand zuvor nach eigenen Angaben seinen Rücktritt angeboten. Die SPÖ war am Sonntag wieder stärkste Partei im Parlament geworden waren und hat den Regierungsanspruch angemeldet.
Die ÖVP hatte bei der Wahl am Sonntag im Vergleich zu 2002 überraschend 8,1 Prozentpunkte (13 Mandate) verloren und wird im nächsten Nationalrat mit 66 Abgeordneten vertreten sein. Die SPÖ verfügt dort über 68 Sitze. Schüssel wird Bundespräsident Heinz Fischer bereits an diesem Dienstag den Rücktritt seines Kabinetts anbieten. Er wird dann die Regierungsgeschäfte kommissarisch bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterführen.
ÖVP-Sprecher hatten vor der Sondersitzung ausgeschlossen, dass bei dem Treffen über »personelle Konsequenzen« gesprochen werde. Kenner der ÖVP gehen allerdings davon aus, dass die Verluste der Partei doch personelle Folgen haben werden. Es gilt als schwer vorstellbar, dass Schüssel im Fall einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten als Vizekanzler unter SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer oder als ÖVP-Fraktionschef amtieren will.
Die SPÖ wird voraussichtlich bereits in der kommenden Woche erste Sondierungen mit der Volkspartei aufnehmen, wenn das amtliche Endergebnis der Wahlen feststeht. Auch Gusenbauer wird an diesem Dienstag vom Bundespräsidenten empfangen und möglicherweise schon mit der Regierungsbildung beauftragt.
Sprecher der Sozialdemokraten wiederholten, dass sie zunächst mit der Volkspartei über die Bildung einer großen Koalition verhandeln wollten. Eine Koalition mit den Grünen, die von vielen gewünscht wird, würde über keine Mehrheit im Parlament verfügen. SPÖ-Geschäftsführer Norbert Darabos betonte, es gebe für seine Partei nach der Wahl zunächst keine Alternative zu einer großen Koalition.
Eine endgültige Entscheidung über die Mehrheitsverhältnisse wird spätestens am 9. Oktober bei der Auszählung von 400000 so genannten Wahlkarten und der Briefwahl-Stimmen fallen. Wahlkarten erlauben es Österreichern am Wahltag praktisch überall im Land ihre Stimme abzugeben. Theoretisch wäre es denkbar aber nach Expertenmeinung äußerst unwahrscheinlich, dass sich durch die große Zahl der Wahlkarten die Stimmenverhältnisse zu Ungunsten des rechten Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) des Rechtspopulisten Jörg Haider verschieben. Dieser hatte mit 4,2 Prozent knapp den Sprung ins Parlament geschafft. Sollte seine Partei bei dieser Auszählung mehr als 0,2 Prozent verlieren, würde das BZÖ aus dem Nationalrat fliegen. Seine acht Mandate würden im Proporz auf die verbleibenden Fraktionen aufgeteilt. Nur dann wäre eine knappe Mehrheit für eine rot-grüne Koalition denkbar.
Seite 4: Kommentar

Artikel vom 03.10.2006