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Mit 17 noch Daumenlutscher

»Thumbsucker«: Originelle Tragikomödie


Filmgeschichten über die Schwierigkeiten, erwachsen zu werden, sind Legion. Doch derart originell wie in der US-amerikanischen Tragikomödie »Thumbsucker« wurde das Thema bisher nur selten auf der Leinwand reflektiert. Jubel und einige Preise bei internationalen Filmfestivals waren der Lohn, beispielsweise 2005 in Berlin und beim Sundance - insbesondere für Titeldarsteller Lou Taylor Pucci in seiner ersten Hauptrolle.
Zu Recht. Auch das Lob für Mike Mills, der mit dieser Adaption des gleichnamigen Romans (1999) von Walter Kirn als Drehbuchautor und Regisseur eines abendfüllenden Spielfilms debütiert, geht völlig in Ordnung.
Schon die Ausgangsidee der Geschichte ist originell: Dem 17-jährigen Justin Cobb (Lou Taylor Pucci) soll das Daumenlutschen abgewöhnt werden. Doch das gelingt weder seinem Vater Mike (Vincent D'Onofrio), einem gescheiterten Footballstar, noch Mutter Audrey (Tilda Swinton), noch dem Kieferorthopäden Dr. Lyman (Keanu Reeves). Denn Justin versteht »die Alten« nicht, und die verstehen ihn nicht. Der angesichts zunehmenden Schulstresses von allerlei Ängsten gebeutelte Knabe interessiert sich sowieso nur für Rebecca (Kelli Garner), stößt aber bei dem Mädchen auf wenig Gegenliebe. Warum also soll er sich mit etwas so Läppischem wie der lieb gewordenen Angewohnheit des Daumenlutschens befassen?
Die intelligente Tragikomödie fesselt zum einen als Geschichte eines Jugendlichen, der partout nicht den Kinderschuhen entwachsen will, und zum anderen als Satire auf die gängigen Muster netter Familienseligkeit à la George W. Bush. Zudem werden sowohl der durch eine mangelhafte medizinische Grundversorgung angeheizte Drogenmissbrauch in den USA als auch die Atompolitik Washingtons kritisch beleuchtet.
So wie inhaltlich der Spagat zwischen ganz Privatem und großer Politik gelingt, funktioniert auch die stilistische Vielfalt: Regisseur Mike Mills setzt auf eine schöne Mischung aus realitätsbewusster Erzählung, phantasievollen Traumbildern und Satire. Da gesellt sich zum Spaß an der vertrackten Geschichte und den durchweg exzellenten schauspielerischen Leistungen auch ein ästhetischer Genuss.

Artikel vom 05.10.2006