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Kennt Spaßgesellschaft
keine Tabus mehr?

Intendantin hat die Zeichen der Zeit erkannt

Wegen Sicherheitsbedenken setzte die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, »Idomeneo« ab.

Veranlasst durch die Absetzung der Idomeneo-Aufführung an der Deutschen Oper in Berlin habe ich in meinem Opernführer die inhaltliche Beschreibung der Oper nachgelesen. Von abgeschlagenen Köpfen ist dort nichts zu erfahren. Die zur griechischen Götterwelt hinzugefügten Namen der Religionsstifter Buddha, Jesus und Mohammed kommen dort nicht vor. Somit stellt sich doch die Frage, warum dies alles, aus welchem Anlass wird die Mozart-Oper überhaupt entscheidend geändert, soll hier provoziert werden?
Ich habe grundsätzlich nichts daran auszusetzen, klassische Opernaufführungen im Rahmen der künstlerischen Freiheit für die heutige Zeit sorgsam aufzubereiten, aber eben sorgsam. Müssen in diesem Fall Darstellungen der zentralen religiösen Symbole in einer Weise hinzugefügt werden, die das religiöse Empfinden vieler Menschen verletzen müssen? Gibt es in unserer sogenannten Spaßgesellschaft keine Tabus mehr? Ist alles, aber auch alles erlaubt? Das hat mit Beschränkung künstlerischer Freiheit nichts mehr zu tun, hier handelt es sich um offenbar absichtliche seelische Verletzungen an ungezählten Mitmenschen.
Auf Menschen buddhistischen Glaubens glaubt man sowieso keine Rücksicht nehmen zu müssen, die sind friedlich und weit weg. Im ehemals christlich geprägten Deutschland ist der entsprechende juristische Tatbestand abgeschafft, es gibt gelegentlich zurückhaltende Proteste, die aber mit Schulterzucken abgetan werden.
Mit Erstaunen nimmt unsere Gesellschaft nun zur Kenntnis, dass Menschen islamischen Glaubens bezüglich solcher wenig einfühlsamer Aktionen sich vermehrt deutlich zu Wort melden, leider auch durch Taten überreagieren. Musste das erst geschehen, um sich Gehör zu verschaffen?
Die Meinungs-, Kunst- und Redefreiheit sind für unseren Kulturkreis ein hohes, vereidigungswürdiges Gut. Sie haben aber dort Grenzen, wo persönliche Gefühle der Mitmenschen bewusst oder grob fahrlässig verletzt werden. Auch ich als (keineswegs »fundamental« eingestellter) evangelischer Christ fühle mich durch diese unangemessene Operninszenierung entsprechend behandelt. Hochachtung für die Intendantin Kirsten Harms, die die Zeichen der Zeit erkannt und die Opernaufführung abgesetzt hat - auch gegen alle, die daran laut Kritik üben.
JÜRGEN WEBER33659 Bielefeld

Artikel vom 18.10.2006