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Reformstreit geht weiter

Breite Kritik am Gesundheitskompromiss der Koalitionsspitzen

Berlin (Reuters). Auch nach der Einigung der Koalitionsspitzen geht der Streit über die Gesundheitsreform unvermindert weiter. Der nach wochenlangen Querelen erzielte Kompromiss stieß gestern nicht nur bei Opposition, Krankenkassen, Gewerkschaften und Wirtschaft auf scharfe Ablehnung.

Auch in den Reihen von Union und SPD wurden kritische Stimmen laut. Die Spitzen der großen Koalition einigten sich nach einer siebenstündigen Verhandlungsrunde in wesentlichen Streitpunkten. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einer weit reichenden Reform. CSU-Chef Edmund Stoiber und CDU-regierte Länder stellten die Beschlüsse unter Vorbehalt einer genauen Prüfung.
Unter anderem soll der Vereinbarung zufolge die von der Union heftig kritisierte Ein-Prozent-Grenze für die Zusatzprämie der Kassen beibehalten werden. Den Starttermin für den Gesundheitsfonds - das Herzstück der Reform - verschob die Koalition nochmals um ein halbes Jahr nunmehr auf den 1. Januar 2009. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sagte, dadurch sollten die Kassen ausreichend Zeit erhalten, ihre Schulden abzubauen und sich auf die Neuerungen vorzubereiten.
Nach Worten Merkels wird mit der Reform das deutsche Gesundheitswesen umgestaltet. Der Gesetzesprozess könne nun in die Endphase gehen. Laut SPD-Fraktionschef Peter Struck wird sich das Kabinett am 25. Oktober damit beschäftigen. SPD-Chef Kurt Beck erklärte, es handele sich um einen guten Kompromiss. Leistungskürzungen hätten vermieden werden können.
Die Überforderungsklausel für den Zusatzbeitrag bildete bis zuletzt den Hauptstreitpunkt. Die Prämie können Kassen erheben, die mit dem ihnen zugewiesenen Geld aus dem Fonds nicht auskommen. Die SPD konnte sich mit ihrer Forderung durchsetzen, die Obergrenze bei ein Prozent des Haushaltseinkommens festzuschreiben. Der Kompromiss sieht vor, dass zusätzliche Beiträge bis zu acht Euro ohne Einkommensprüfung von einer Kasse erhoben werden dürfen. Merkel äußerte die Hoffnung, dass die meisten Kassen ganz ohne eine solchen Betrag auskommen würden.
Der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst sagte, die Landesregierung werde die Auswirkungen des Kompromisses genau prüfen. Auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, betonte: »Da wird über einiges noch zu sprechen sein.« Der hessische Regierungschef Roland Koch und sein thüringischer Amtskollege Dieter Althaus sprachen hingegen von einem Schritt in die richtige Richtung. Der SPD-Politiker Wolfgang Wodarg rechnet mit heftigem Widerstand gegen die Reform in der Fraktion.
Von der Opposition kam an den Beschlüssen scharfe Kritik. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach von einem »faulen, vermurksten Kompromiss«.
FDP-Chef Guido Westerwelle forderte, den Gesundheitsfonds komplett abzuschaffen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beklagte, die Reform verfehle alle wesentlichen Anforderungen an eine Neuordnung des Gesundheitswesens. Kassen und Krankenhäuser wiesen die Beschlüsse als untauglich zurück.
Seite 4: Hintergrund/Leitartikel

Artikel vom 06.10.2006