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Üppiges Tableau einer veralteten Gesellschaft

Anton Tschechows »Kirschgarten« erlebte im Stadttheater Bielefeld eine gefeierte Premiere

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Für Anton Tschechow war »Der Kirschgarten« eine Komödie. Aber auch Farce, surreales Drama, Tragödie. Intendant Michael Heicks hat das Stück, das im Stadttheater eine mit lang anhaltendem Applaus bedachte Premiere feierte, zu einem in jeder Beziehung üppigen Tableau einer Zeitenwende gemacht.

Mit üppiger Ausstattung von Annette Breuer, russisch inspirierten Kostümen von Hildegard Altmeyer, Besetzung mit 13 Schauspielern, dem Extrachor, der Singschul', drei Musikern und einem Hund zeichnet Heicks das Sittengemälde einer Gesellschaft, die sich im Umbruch befindet: Da sind die, die in der Vergangenheit verharren, die, die die neuen Zeiten begriffen haben und sie zum eigenen Wohle mit gestalten wollen. Der Kirschgarten ist das Symbol der alten Zeit: er steht für Schönheit, er steht für Reichtum, er wird als Denkmal in der Enzyklopädie geführt - und er wird zum Schluss den neuen Werten, dem Überleben des Gutes, geopfert.
Die Ranjewskaja (Carmen Priego) flüchtet sich, pleite, von Paris zurück auf das überschuldete Gut ihrer Kindheit. Sie ist so lebensuntüchtig wie ihr Anhang: Bruder Leonid (Harald Gieche) faselt nur von der guten alten Zeit. Tochter Anja (Monika Wegener) freut sich zwar, wieder daheim zu sein, aber noch mehr auf den ewigen Studenten Trofimow (Alexander Swoboda). Adoptivtochter Warja (Christina Huckle) weiß zwar, was Arbeit ist, hat aber auch ihre Standesdünkel. Lopachin (Thomas Wolff), Sohn eines Leibeigenen, ersteigert das Gut, ist aber kein fieser Emporkömmling, sondern versucht, der Ranjewskaja zu helfen. Die aber ist lebensuntüchtig. Firs (Stefan Gohlke), der alte Diener, hält die Illusion aufrecht, dass alles in bester Ordnung ist. Dazu kommen ein Gutsbesitzer (Stefan Hufschmidt) Gouvernante (Ulrike Müller), Kontorist (Stefan Imholz), Stubenmädchen (Claudia Mau), Diener (Mathias Reiter) und Soldat (Benjamin Armbruster). Man tanzt und musiziert, während sich die Revolution ankündigt.
Das Ensemble zeichnete sich durch großartige Spielfreude aus, besonders Stefan Gohlke rührte als greiser Domestik ebenso wie Carmen Priego in ihrem überaus schrillen Überlebenskampf.

Artikel vom 02.10.2006