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Reifeprozess längst vollzogen

Arminias Linksfuß Jörg Böhme lebt die Emotionen im Stadion aus

Von Werner Jöstingmeyer
Bielefeld (WB). Sein ehemaliger Bielefelder Kollege Bruno Labbadia hatte es ihm vor ein paar Jahren prophezeit: »Wenn du erst mal 30 bist, wirst auch du ruhiger.« Arminias damaliger Torjäger hatte recht: »Viele Dinge sehe ich heute wirklich gelassener, obwohl ich es nicht für möglich gehalten habe«, grinst der mittlerweile 32-jährige Jörg Böhme verschmitzt.

Der Reifeprozess des Vollblut-Fußballers ist in der Tat sehr weit fortgeschritten. Emotionen zeigt er überwiegend auf dem Platz. »Ich will immer gewinnen und gebe dafür sowohl im Training als auch in den Spielen richtig Gas. Schließlich ist das mein Job.« Wenn's nicht läuft und einige Spielkameraden schludern, kann Böhme auch schon mal richtig laut und ein bisschen unangenehm werden. »Er steht in der Hierachie der Mannschaft ganz weit vorn«, weist Arminias Sportdirektor Reinhard Saftig auf den Stellenwert des emsigen Flügelflitzers hin und schätzt auch dessen verbale Qualitäten.
Nach viereinhalb Jahren Schalke und 18 Monaten Mönchengladbach ist der Linksfuß sozusagen als »Last-Minute-Verpflichtung« nach Bielefeld zurückgekehrt. »Eigentlich wollte ich mich bei Arminia nur fithalten, um mich für andere Klubs empfehlen zu können«, freut sich Böhme über sein neues Engagement und erklärt: »Nach fast einjähriger Wettkampfpause war es trotz einiger Angebote nicht einfach, den passenden Verein zu finden.«
Zugute kam ihm der nie abgerissene Kontakt zu Thomas von Heesen. Selbstzweifel während seiner langen Verletzungspause und der anschließenden Reha-Maßnahme wurden von Ehefrau Michaela und Sohn Erik (8) in seinem wunderschönen Haus in Steinhagen zerstreut. »Es geht nichts über ein intaktes Familienleben. Wir sind jetzt schon elf Jahre verheiratet, kennen uns aber von kleinauf an.«
Jörg Böhme sagt, was er denkt und macht nach wie vor aus seinem Herzen keine Mördergrube. Ein Mann mit Ecken und Kanten, den die Bielefelder Fans sofort wieder ihr Herz geschlossen haben. Als er nach sechsjähriger Abstinenz in der SchücoArena erstmals gegen Stuttgart eingewechselt wurde, feierten ihn die Zuschauer mit Sprechchören.
Auch bei der jüngsten Niederlage in Bochum zählte Jörg Böhme bis zu seiner Auswechselung zu den Aktivposten. Den Einwand, dass er eventuell zu früh von Trainer Thomas von Heesen aus dem Spiel genommen wurde, zerstreut der Linksaußen sofort. »Ich bin viel gerannt. Der Substanzverlust war groß. Man darf nicht vergessen, dass ich ein Jahr nicht gespielt habe und sofort von null auf hundert Prozent gegangen bin.«
Obwohl Arminia letzten Sonntag die Chance verpasste, sich im Tabellenmittelfeld festzusetzen, sorgt sich Böhme nicht um den Klassenerhalt. Diese Mannschaft habe weitaus mehr Potenzial als früher. Es mache viel Spaß, in diesem Team zu spielen. Und man werde die nötigen Punkte schon holen. Die Niederlage in Bochum begründet er so: »Wir haben es versäumt, das zweite Tor nachzulegen. Zudem wurde nach der Pause das Tempo nicht hochgehalten. Wir müssen einfach cleverer spielen und manchmal auch durch taktische Fouls den Spielfluss des Gegners unterbinden.« Selbstkritsch fügt er an: »Da schließe ich mich mit ein.«
Der Vize-Weltmeister von 2002, der zehn Länderspiele auf dem Buckel hat, während der WM in Japan und Korea aufgrund einer Sehnenverletzung im rechten Knie aber vorzeitig abreisen musste, kann stolz auf seine bisherige Karriere sein. Ein Indiz der Wertschätzung namhafter Kollegen: In Böhmes Garage hängen fein säuberlich aufgereiht einen Vielzahl Trikots von Gegnern, die ihm während seiner Leidenszeit auf diesem Weg die besten Genesungswünsche übermittelten.
Im Osten Deutschlands aufgewachsen, in der Jenaer Kaderschmiede das Fußball-ABC aus dem Effeff erlernt, ist Jörg Böhme in Ostwestfalen längst heimisch geworden. Mit Schalke und der Nationalmannschaft hat er sich auf internationalem Parkett bewegt. Dennoch ist sein Ehrgeiz ungebrochen. »Cottbus wird schwer, aber die drei Punkte bleiben in Bielefeld«, sagt er und die dunklen Augen blitzen. »Wir brauchen den Druck, aber mit Geduld und der Unterstützung unserer Fans werden wir gewinnen.«

Artikel vom 30.09.2006