14.10.2006
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Wie in einer veränderlichen Collage zum Thema Schmerz schossen ihr plötzlich flüchtige Bilder von früheren Trauernden durch den Kopf. Es waren so viele gewesen, seit sie als Constable bei der Polizei angefangen hatte, so oft hatte sie eine traurige Nachricht überbringen müssen. Eine endlose Abfolge von Türen, die sich auf ihr Klingeln oder Klopfen hin geöffnet hatten. Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, die, noch bevor sie den Mund aufmachen konnte, ihr die Wahrheit von den Augen ablasen. Die hektische Suche in fremden Küchen, um die traditionelle »gute Tasse Tee« zu bereiten, die nie gut war und die die Trauernden mit herzzerreißender Höflichkeit tranken.
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Sie hatten höchstens zehn Sekunden geschwiegen, doch es war, als wäre die Zeit stehen geblieben, dann richteten sich die wässrigen Augen auf Kate. »Es geht um den Chorrock, nicht wahr? Es hat irgendwas mit dem Chorrock zu tun. Und ich habe ihn ihm gegeben.«
Kate sagte sanft: »Er war über Mr. Boydes Leichnam gebreitet, aber er ist nicht damit getötet worden.« Hatte Mrs. Burbridge das gedacht? Kate fügte hinzu: »Er ist nicht erstickt worden. Der Chorrock war nur über ihn gelegt.«
»Und ist er É Ist der Rock blutbefleckt?«
»Leider ja.« Kate wollte schon hinzufügen: Aber ich glaube, er kann gereinigt werden, bremste sich aber rechtzeitig. Sie hörte, wie Benton nach Luft schnappte. War ihm klar gewesen, vor welcher Torheit sie sich gerade noch gerettet hatte, die ebenso kränkend wie dumm gewesen wäre? Mrs. Burbridge trauerte nicht um den Verlust eines Gegenstandes, egal mit wie viel Liebe sie ihn hergestellt hatte, und auch nicht um die verlorene Zeit und Mühe.
Auch Mrs. Burbridge blickte sich nun in dem Zimmer um, als sei es ihr fremd geworden. Sie sagte: »Das ist alles sinnlos, nicht wahr? Nichts davon ist real. Alles ist nur ein schöner Traum. Ich habe ihm den Chorrock gegeben. Wenn ich ihn ihm nicht gegeben hätte É« Ihre Stimme brach.
Kate sagte: »Es hätte nichts geändert. Glauben Sie mir, der Mörder hätte so oder so zugeschlagen, ob der Chorrock nun da war oder nicht. Es hatte nichts damit zu tun.«
Dann ergriff mit einem Mal Benton das Wort, und Kate staunte, wie sanft seine Stimme klang.
»Der Mörder hat den Chorrock über ihn gebreitet, und das ist irgendwie passend, finden Sie nicht? Adrian war Geistlicher. Vielleicht war die Seide des Chorrocks das Letzte, was er gespürt hat. Wäre das nicht vielleicht ein Trost für ihn gewesen?«
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Kate holte leise einen Stuhl und setzte sich dicht neben sie. »Wir werden den Mann fassen, aber wir brauchen Ihre Hilfe, vor allem jetzt, wo Mr. Dalgliesh krank ist. Wir müssen wissen, was gestern Abend passiert ist. Sie sagten, Sie haben Mr. Boyde den Chorrock gegeben.«
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Kate fragte: »War der Chorrock deshalb in einer Schachtel verpackt?«
»Ich hatte ihn in die Schachtel getan, doch nicht für die Lieferung an den Bischof. Wir wussten ja, dass Adrian ihn nicht von der Insel fortbringen konnte, noch nicht. Ich dachte nur, Adrian würde ihn gerne tragen, vielleicht bei der Abendandacht. Schließlich war er fast jeden Abend in der Kapelle. Bei der Messe wollte er ihn nicht tragen, das wäre auch nicht angebracht gewesen. Doch als er ihn bewunderte, habe ich ihm angemerkt, dass er ihn gern getragen hätte, deshalb habe ich gemeint, es wäre mir eine Hilfe, wenn ich wüsste, wie er sitzt, ob er auch bequem ist. In Wahrheit war das nur ein Vorwand. Ich wollte Adrian das Vergnügen machen, ihn zu tragen.«
Kate sagte: »Wissen Sie noch, um wie viel Uhr er hier mit der Schachtel weggegangen ist?«
»Er ist nicht lange geblieben. Ich habe ihm angemerkt, dass er zurück in sein Cottage wollte. Als er fort war, habe ich hier das Licht ausgemacht und bin ins Wohnzimmer, um Radio zu hören. Ich weiß noch, dass ich auf die Uhr gesehen habe, weil ich eine bestimmte Sendung nicht verpassen wollte. Da war es fünf vor neun.«
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Die Frage war wichtig, die Antwort entscheidend, und Mrs. Burbridge schien sich darüber im Klaren zu sein. Nach kurzer Überlegung sagte sie: »In dem Moment kam es mir nicht weiter ungewöhnlich vor. Ich dachte, dass er vielleicht noch etwas zu erledigen hatte oder genau wie ich eine Sendung im Radio hören wollte. Es stimmt, er hatte es sonst nicht so eilig. Aber richtig gehetzt wirkte er nicht. Er war immerhin fünfundzwanzig Minuten hier.«
Benton fragte: »Worüber haben Sie gesprochen?«
»Über den Chorrock, die Stola und andere Stücke, die ich in Arbeit habe. Und er hat die Altardecken bewundert. Wir haben nur ein bisschen geplaudert. Wir haben nicht über den Mord an Mr. Oliver gesprochen, doch ich glaube, dass ihm irgendetwas nicht aus dem Kopf ging. Er war tief betroffen von Mr. Olivers Tod. Das waren wir natürlich alle, aber bei ihm ging es tiefer. Nun, das ist ja auch kein Wunder, nicht wahr? Er kannte das Böse.«
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»Das werde ich nicht. Mrs. Plunkett möchte auch lieber Gesellschaft haben, und sie hat vorgeschlagen, dass ich zu ihr ziehe. Jago und Dan werden mein Bett rübertragen. Sie würde auch herkommen, aber sie kann nun mal nicht ohne ihren Fernseher. Ich fürchte, keiner von uns wird richtig zur Ruhe kommen. Auch die Leute, die sich sonst nicht fürs Fernsehen interessieren, werden jetzt die Nachrichten sehen wollen. Alles hat sich geändert, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Kate. »Das ist leider so.«
»Wir sollten aufschreiben, was wir gestern Abend gemacht haben. Ich habe das Blatt zwar mitgenommen, jedoch kein Wort zu Papier gebracht. Ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen. Ist das noch wichtig?«
Kate sagte freundlich: »Im Augenblick nicht, Mrs. Burbridge. Sie haben uns alles gesagt, was wir wissen müssen. Es kann sein, dass wir später noch eine offizielle Aussage von Ihnen brauchen. Darüber sollten Sie sich jetzt noch keine Gedanken machen.«
Sie dankten ihr, und schon halb in der Bibliothek hörten sie, wie die Tür hinter ihnen abgeschlossen wurde.
Benton sagte: »Er hat also fast eine Stunde für den Heimweg gebraucht. Selbst in der Dunkelheit dürfte das eigentlich nicht so lange gedauert haben.«
»Sie sollten die Zeit stoppen, am besten nach Einbruch der Dunkelheit. Wir können mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass Boyde keinen Abendspaziergang gemacht hat, nicht in einer sternlosen Nacht und mit einer großen Schachtel unterm Arm. Er hat noch jemanden getroffen, und wenn wir wissen wen, haben wir unseren Calcraft.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Wir haben zwanzig Minuten gebraucht, um die Informationen zu bekommen. Wir konnten Mrs. Burbridge ja schließlich nicht drängen, und es war wichtig. Ich will da sein, wenn Dr. Glenister kommt. Wir müssen uns zwar von ihr fern halten, aber ich denke, wir sollten dabei sein, wenn sie den Toten abholen.«
Gerade als sie die Tür zu Kates Apartment öffneten, klingelte das Telefon.
Artikel vom 14.10.2006