10.10.2006
|
»Es ist nicht gerade ideal, dass Sie jetzt allein mit einem Sergeant einen Doppelmord untersuchen müssen. Ich wüsste allerdings nicht, warum Sie keine technische Unterstützung von den örtlichen Polizeikräften in Anspruch nehmen sollten. Wenn die Leute von der Spurensicherung und vom Erkennungsdienst sich von infizierten Personen fern halten, dürfte ja wohl kein ernsthaftes Risiko bestehen. Letztendlich muss das natürlich das Innenministerium genehmigen.«
Kate erwiderte: »Sergeant Benton-Smith und ich wissen noch nicht, ob wir infiziert sind, Sir.«
»Das gilt es natürlich zu bedenken. Wie dem auch sei, für Seuchenkontrolle sind wir nicht zuständig. Für den Doppelmord schon. Ich rede mit dem Polizeipräsidenten in Exeter. Die können sich wenigstens um eventuelle Beweismittel kümmern. Sie machen mit Benton-Smith erst einmal weiter, zumindest in den kommenden drei Tagen, bis Freitag. Danach sehen wir, wie weit wir sind. Und Sie halten mich selbstverständlich auf dem Laufenden. Übrigens, wie gehtÕs Mr. Dalgliesh?«
»Ich weiß nicht, Sir. Ich wollte Dr. Staveley noch nicht mit Nachfragen belästigen. Ich hoffe, dass ich später am Tag etwas erfahre.«
Harkness sagte: »Ich werde diesen Staveley selbst anrufen und mit Mr. Dalgliesh sprechen, wenn er dazu in Lage ist.«
Kate dachte: Na, denn viel Glück. Sie hatte so das Gefühl, dass Guy Staveley ausgesprochen geschickt darin sein würde, seinen Patienten abzuschirmen.
Nachdem sie aufgelegt hatte, wappnete sie sich innerlich für den zweiten, schwierigeren Anruf. Sie versuchte sich zurechtzulegen, was sie Emma Lavenham sagen wollte, aber es klang alles irgendwie falsch, entweder zu beängstigend oder verharmlosend. Auf dem Zettel, den AD ihr gegeben hatte, standen zwei Nummern, Emmas Handy und ihr Festnetzanschluss. Darauf zu starren machte die Entscheidung nicht leichter. Schließlich beschloss sie, es zuerst mit der Festnetznummer zu probieren. Es war noch früh, und vielleicht war Emma noch in ihrem Zimmer im College. Oder AD hatte schon mit ihr gesprochen, allerdings hielt Kate das für unwahrscheinlich. Ohne sein Handy hätte er das Telefon in der Praxis benutzen müssen, und Dr. Staveley war vermutlich der Ansicht gewesen, dass es Dringenderes gab.
Nach fünfmaligem Läuten ertönte Emma Lavenhams Stimme am anderen Ende, selbstbewusst und unbekümmert, und löste einen Wirrwarr von Erinnerungen und Gefühlen aus.
Sobald Kate ihren Namen genannt hatte, veränderte sich die Stimme. »Es geht um Adam, nicht?«
»Leider ja. Er hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass es ihm nicht gut geht. Er wird Sie anrufen, sobald er kann. Er lässt Ihnen alles Liebe ausrichten.«
E
»Nein, kein Unfall. Sie werden es bestimmt bald in den Nachrichten hören. Einer der Besucher auf der Insel ist an SARS erkrankt; Mr. Dalgliesh hat sich angesteckt. Er ist hier in ein Krankenzimmer gebracht worden.«
Das Schweigen schien endlos. Dann sagte Emma: »Wie schlimm steht es um ihn? Bitte, Kate, ich muss es wissen?«
K
Sie hatte eigentlich keine Ahnung und wollte einfach Zuversicht vermitteln. Aber wie hätte sie sich an die Wahrheit halten können, wo sie selbst diese gar nicht kannte? Sie fügte hinzu: »Und er ist sehr stark.«
M
»Ja, Emma, ich rufe wieder an, und Sie erfahren alles, was ich weiß. Auf Wiederhören.«
Als Kate den Hörer auflegte, dachte sie: Nicht: »Sagen Sie ihm, dass ich ihn liebe«, sondern nur: »Bestellen Sie ihm alles Liebe von mir.« So etwas würde man auch einem guten Freund ausrichten lassen. Doch was hätte sie mir sonst auftragen sollen, solange sie es ihm nicht unter vier Augen sagen konnte? Wir möchten beide das Gleiche sagen. Ich habe immer gewusst, warum ich es nicht aussprechen kann. Aber er liebt sie, warum also kann sie es nicht sagen?
S
U
Benton lächelte. »Mich wundert, dass er nicht gesagt hat, wenn die Zahl der Opfer weiter steigt, haben wir den Fall bald per Ausschlussverfahren geklärt. Wo soll ich mit den Fotos anfangen, MaÕam?«
Die nächste Viertelstunde arbeiteten sie konzentriert. Benton machte Aufnahmen von der Leiche mit dem darüber gebreiteten Chorrock, fotografierte das zerschmetterte Gesicht, die Kapelle, den Bereich drum herum, wobei er einer teilweise eingefallenen Trockenmauer besondere Aufmerksamkeit widmete, sowie die obere und untere Klippe. Dann gingen sie hinüber zum Chapel Cottage. Wie seltsam, dachte Kate, dass Stille so drückend sein konnte und dass der tote Boyde ihr in dieser Leere lebendiger vor Augen stand, als er es im Leben getan hatte.
K
Sie sahen sich das Badezimmer an. Die Wanne und das Waschbecken waren trocken, die Handtücher ordentlich aufgehängt. Kate sagte: »Vielleicht sind Abdrücke am Duschkopf oder der Armatur, aber das soll unsere Verstärkung überprüfen, falls wir welche kriegen. Unsere Aufgabe ist es, die Beweise zu sichern. Und das heißt, wir müssen das Cottage abschließen und versiegeln. Die beste Aussicht, DNA zu finden, haben wir bei den Handtüchern, also schicken wir die ins Labor.«
Sie hörten durch die offene Tür den Wagen kommen. Kate schaute hinaus und sagte: »Rupert Maycroft ist allein. Dr. Staveley und Jo Staveley sind bestimmt im Krankenzimmer beschäftigt. Ich bin froh, dass es nur Maycroft ist. Schade, dass er jetzt den Chorrock sieht, aber zumindest ist das Gesicht bedeckt.«
Artikel vom 10.10.2006