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Mal Superdezernent - mal Frühstücksdirektor

Nach 16 Dienstjahren verlässt Rainer Ludwig das Rathaus

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Seine Amtszeit endet erst am 31. Oktober. Doch Kultur-, Sport- und Rechtsdezernent Rainer Ludwig (58) wurde bereits gestern im Rat offiziell verabschiedet. Bielefelds dienstältester Rathaus-Beigeordneter macht keinen Hehl daraus, dass er gern noch bis 2009 geblieben wäre. Doch seit seinem Austritt aus der Bürgergemeinschaft 2004 fehlte Ludwig wohl auch die »Hausmacht« am Niederwall.

Mit Oberbürgermeister Eberhard David (CDU) verband den Dezernenten zuletzt kein sonderlich inniges Verhältnis. Dennoch hörte er gestern lobende Worte vom Rathauschef. »Sie haben in Ihrer Amtszeit Zeichen gesetzt«, sagte David. Grundlage dafür sei Ludwigs Fähigkeit, strategisch zu denken und zu handeln. Er habe sich immer Folgen und Auswirkungen von Entscheidungen bewusst gemacht.
»Lassen Sie's«, hatten Ludwig »viele wohlmeinende Menschen« geraten, als er 1990 das Angebot erhielt, nach Bielefeld zu wechseln. Der Jurist leitete damals das Büro des hauptamtlichen Frankfurter Bürgermeisters, hatte zuvor erste Verwaltungssporen im Hamburger Rathaus verdient.
Was Ludwig reizte: In Bielefeld tat sich Anfang der 90er Jahre etwas. Die neu gegründete Bürgergemeinschaft für Bielefeld (BfB) hatte 1989 einen Machtwechsel im Rathaus möglich gemacht, sollte den neuen Wirtschaftsförderungsdezernenten stellen. Schließlich hatten zuvor in der »Studie der 100« heimische Unternehmer den beklagenswerten Zustand der örtlichen Wirtschaftspolitik kritisiert und damit den Wechsel eingeleitet. Ludwig wurde BfB-Mitglied, ohne sein CDU-Parteibuch abzugeben, und neuer oberster Wirtschaftsförderer. Er empfahl auch einen weiteren Frankfurter für einen Rathaus-Spitzenposten: den späteren Planungsdezernenten Florian Mausbach.
Die Debatten um Postfrachtzentrum und Ikea-Ansiedlung bestimmten die frühen Jahre. »Die Bielefelder merkten, dass da jemand gekommen war, der sich nicht verbiegen ließ«, sagt Ludwig über jene Zeit. Als von 1994 an wieder Rot-Grün regierte, ließen sie Ludwig ihre Abneigung spüren. Er wurde zum »Feuerwehrdezernenten«. »Ich war eine Art Frühstücksdirektor«, so Ludwig heute. »Die damaligen Mehrheitsfraktionen hatten mir nahe gelegt, etwas Neues zu suchen«, erinnert er sich.
Doch es kam anders. Nach Pannen bei der eigenen Personalplanung ersann Rot-Grün eine neue Taktik. So viele Aufgaben sollte Ludwig erhalten, dass er sie gar nicht bewältigen konnte - und damit zum Sündenbock bei der Wahl '99 hätte werden können. Ludwig mutierte zum »Superdezernenten«, zuständig für Kinder, Jugend, Soziales, Sport und Schule.
In jene Phase, Ende der 90er, fiel die schmerzvolle Debatte um die künftige Ausrichtung der Drogenpolitik. »Damals musste ich auch viel Überzeugungsarbeit innerhalb der BfB leisten«, berichtet Ludwig. Bei Rot-Grün gelang die Überzeugung in anderer Hinsicht. Die bereits politisch totgesagte Ludwig wurde 1998 als Dezernent für weitere acht Jahre gewählt.
2001, die Mehrheiten hatten inzwischen wieder gewechselt, wurden die Ressorts neu geordnet. Ludwig wurde Kulturdezernent und Erster Beigeordneter, Stellvertreter es OB. Die Debatte um die künftige Anzahl der Beigeordneten (Ludwig: »Vier sind genug.«) führte schließlich 2004 zum Austritt aus der BfB. »Ich wollte meiner Linie treue bleiben«, begründet er diesen Schritt. »Sich treu bleiben« wollte er auch in der Auseinandersetzung mit der Arminia-Spitze, die ihn ebenfalls 2004 aus dem Verwaltungsrat verbannte, weil er Interna verbreitet habe.
Vor zwei Jahren war ihm längst klar, dass er auf eine erneute Wiederwahl im Rathaus nicht setzen konnte. Trotz aller Auseinandersetzungen, der Hochs und Tiefs - Ludwig ist dennoch froh, es 1990 nicht gelassen zu haben und nach Bielefeld gekommen zu sein. Seine berufliche Zukunft lässt er einstweilen offen. Sicher ist nur: »In den Ruhestand werde ich mich noch nicht verabschieden.«

Artikel vom 29.09.2006