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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Das Danken war einstmals mit Opferhandlungen verbunden. Die Menschen schlachteten ein Tier oder brachten etwas von den Früchten des Feldes dar. Selbst heutzutage erinnert daran noch von ferne die Sitte, die Altäre der Kirchen zum Erntedankfest - wie morgen wieder - mit Naturalien zu schmücken.
Dem lag ursprünglich nicht der Gedanke zugrunde, der Gottheit einen Tribut für empfangene Güter, eine Art „Erntesteuer“, entrichten zu müssen, oder die naive Absicht, sie für die Zukunft gnädig und günstig zu stimmen. Vielmehr machte sich der Mensch durch das Opfer bewusst, dass er nicht aus eigener Kraft lebt und im strengen Sinne nichts sein eigen nennen kann. Vielmehr existiert er im wesentlichen als Beschenkter. Dies ist der elementare und bleibende Sinn auch des Erntedankfestes.
Auf solch ein Opfergeschehen nimmt der Hebräerbrief einmal Bezug und gibt dem Thema eine neue Wendung. Es heißt dort: „Lasst uns ... Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen“ (Hebr. 13, 15). Der äußere Vorgang des Opferns wird dabei durch Sprache ersetzt. Es geht um die „Frucht der Lippen“. Damit wird jedoch nicht etwa eine lediglich bequemere Methode angeboten, die zudem nichts kostet. Sondern es handelt sich um eine tiefere Art des Dankens.
Die Sprache ist ja das Medium und Instrument, womit Menschen überhaupt erst etwas begreifen. Ein mathematisches Problem etwa oder auch nur eine einfache Rechenaufgabe hat jemand nicht eher wirklich begriffen, bis er imstande ist, einem anderen zu erklären, worum es dabei geht und worin die Lösung besteht.
Im Bereich des Menschlichen ist das nicht anders: Worüber einer nicht zu sprechen vermag, was er möglicherweise vor sich herschiebt und verdrängt, das hat er noch nicht bewältigt. Im Grunde hat er es sogar nicht einmal richtig verstanden; es ist für ihn etwas Nebulöses und oftmals sogar Unheimliches geblieben. Vielleicht will er es auch noch gar nicht verstehen, weil er sich sonst damit auseinandersetzen müsste. So ist es auch mit Gefühlen, etwa der Abneigung. Wir finden einen anderen Menschen unsympathisch, können aber nicht genau sagen, warum. Erst wenn wir uns darüber klarwerden und das auch in Worte zu fassen vermögen, beginnen wir, sowohl den anderen als auch uns selber besser zu verstehen.
Dazu kommt ein weiterer Gesichtspunkt: Sprache ist nicht für Selbstgespräche gedacht, sondern für das Miteinander, die Kommunikation. Sogar unsere Selbstgespräche sind verkappte Dialoge mit bestimmten Gesprächspartnern, die dann eben unsichtbar anwesend sind. Indem er spricht, überschreitet ein Mensch die Grenze seines Ichs zu einem Du hin.
Was so ganz allgemein gilt, das gilt auch und erst recht für unsere Beziehung zu Gott. Viele Menschen sind durchaus manchmal von einem Gefühl der Dankbarkeit beseelt. Aber sie bleiben damit bei sich selbst. Ihr Empfinden findet keine Worte und kein Gegenüber. So verpufft es nach kurzer Zeit wieder. Es trägt keine Frucht für das weitere Leben; es schenkt keine neue Lebenskraft, es bleibt eine verschwommene und wirkungslose Sentimentalität.
Deshalb lässt der Hebräerbrief die Dankbarkeit nicht in dem Schwebezustand eines bloßen Gefühls, sondern spricht von der „Frucht der Lippen“. Denn jeder ausgesprochene, in Gebete gekleidete Dank an Gott trägt Früchte für das eigene Leben. Er macht es voller und bunter und sammelt darüber hinaus auch Kapital für schwierige Situationen und leidvolle Strecken. Und wer sogar in solchen Phasen die Frage wagt, „Wofür habe ich selbst jetzt zu danken?“ erfährt, dass die Last leichter wird, weil da noch ein anderer ist, der sie mit ihm trägt.

Artikel vom 30.09.2006