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Lebensretter in die USA eingeladen

Bielefelder Oberarzt besucht 73-jährige Amerikanerin zum Erntedankfest in Boston

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Eine 73 Jahre alte US-Amerikanerin, die während eines Deutschlandbesuches schwer verunglückt war, hat sich auf ganz besondere Weise bei einem ihrer Lebensretter bedankt: Sie hat den Oberarzt Dr. Georg Braun (45) vom Evangelischen Krankenhaus Bielefeld zum Erntedankfest in die USA eingeladen.

Johanna N. hatte vor mehr als 50 Jahren in Bayern einen »GI« geheiratet und war in die USA ausgewandert. Im Mai vergangenen Jahres kehrte sie zu einem Verwandtenbesuch nach Deutschland zurück, begleitet von ihrer Nachbarin und besten Freundin aus Boston, die Deutschland kennenlernen wollte. Es war eine Reise mit tragischem Ende: Der deutsche Cousin von Johanna N. erlitt auf der A 44 bei Wünnenberg-Haaren am Steuer offenbar einen Herzinfarkt und raste mit seinem Kleinbus gegen einen Brückenpfeiler. Der Cousin war sofort tot, seine Beifahrerin starb wenig später - es war die Johanna N.s Nachbarin.
Johanna N. hatte hinten gesessen und überlebt - mit Schädelhirnverletzungen, sechs Rippenbrüchen, einem gebrochenen Schulterblatt, einer gebrochenen Hüfte und Weichteilverletztungen. »Christoph 13« flog die 73-Jährige zur Erstversorgung ins St. Vincenz-Krankenhaus nach Paderborn. Von dort wurde die lebensgefährlich verletzte Frau am Tag darauf in die Klinik Gilead I des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld verlegt, die auf Schwerstverletzte spezialisiert ist.
»Die Patientin lag im Koma, wurde beatmet und hatte vergleichsweise geringe Chancen zu überleben«, erinnert sich Dr. Georg Braun, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Das habe er auch den fünf erwachsenen Kindern eröffnet, die nacheinander aus den USA eingetroffen seien: »Die haben sich abgewechselt, damit immer jemand bei der Mutter war.« Anfangs hätten die Verwandten der Behandlung in Deutschland kritisch gegenübergestanden und die Mutter in die USA fliegen wollen, erzählt Dr. Braun. Er habe ihnen dann aber Tag für Tag genau erklärt, was man mit der Patientin vorhabe, und so sei das notwendige Vertrauen gewachsen. »Später hat mir die Familie erzählt, dass die Art unserer Klinik, ganz offen über alle Chancen und Risiken zu sprechen, sie überzeugt habe«, erzählt der Oberarzt.
Gehirn-Operation, Intensivstation, Physiotherapie, Reha-Kur - es war ein wochenlanger, schwieriger und schmerzhafter Heilungsprozess, den die betagte Amerikanerin durchmachen musste, und an manchen Tagen verließ sie der Mut. »Um die Frau aufzuheitern, habe ich zu ihr gesagt: Wenn Sie wieder ganz gesund sind, besuche ich Sie zu Hause. Da hat sich ihre Miene aufgehellt, und sie hat mich zum Thanksgiving Day eingeladen - dem bedeutendsten Familienfest der Amerikaner«, erinnert sich Dr. Braun.
Der Oberarzt nahm die Einladung an: Für eine Woche waren Georg Braun und seine Frau Dorothee im vergangenen Jahr zu Gast bei Johanna N. in Boston. »Und Thanksgiving war der Höhepunkt!«, strahlt der Mediziner. Die beiden Töchter, drei Söhne und zehn Enkel seien gekommen, um das Fest gemeinsam zu begehen. »Den ganzen Tag über gab's Programm. Die Enkel haben ein Theaterstück aufgeführt, der älteste Sohn hat den traditionellen Truthahn zubereitet - es war ein toller Tag!«, schwärmt der Arzt. Am meisten gerührt habe ihn ein Bild, das die Enkelkinder für ihn gemalt hatten, erzählt der Bielefelder. »Danke, Dr. Braun, dass wir unsere Großmutter zurück haben!«, stand darauf.

Artikel vom 30.09.2006