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Martin Brückner erinnert an die Truppenbetreuung des Theaterensembles in Bielefeld.

Truppenbetreuung mit Tänzerinnen

Auch das Theaterensemble Bielefeld unterhielt Soldaten an der Front

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Seit einigen Tagen haben die Bielefelder ihr Theater wieder. Das Ereignis rief in unserem Leser Martin Brückner Erinnerungen wach, die wir hier in Auszügen (und um ein paar Informationen ergänzt) wiedergeben.

»Die Schlüsselübergabe [an Intendant Michael Heicks im September 2006; d.Red.] weckt in mir Erinnerungen an die Zeit, als ich 1942 Statist in der Strauß-Operette ÝDie FledermausÜ war«, schreibt Brückner. »In Ermangelung von männlichem Personal suchte das Theater damals unter Schülern nach Statisten - auch am Ratsgymnasium. So wurde ich im Ball- und Maskenfest Diener im Palast des Prinzen Orlofsky.«
Die Presse (nachzulesen im Stadtarchiv in den hochspannenden »Westermann«-Bänden) bejubelte am 13. Februar 1942 »Walzererregtheit«, »Cancanausgelassenheit« und »Polkawirbel« in der »Fledermaus«. Heinrich Altmann habe das Werk »zu Recht in die Nähe des deutschen Singspiels und des musikalischen Schauspiels gerückt« und »eingefrorene Operettenklischees aufgetaut«.
Der heute 80-jährige Brückner war damals 14. Wie so viele seiner Altersgenossen wurde er kurz darauf zur Flak eingezogen. Im »Westermann« ist über die Beteiligung von Schülern am Bühnenbetrieb nichts zu finden. Die gelenkte Presse überspielte kriegsbedingte Mangelerscheinungen. Hingegen wird der Einsatz der Künstler für »die Männer in Feldgrau« gerne hervorgehoben. Truppenbetreuung war ein beliebtes Thema, bildeten doch nach damaliger Lesart »Front und Heimat eine unzertrennliche Einheit«.
Unter dem 8. März 1940 liest man von einem achttägigen Gastspiel einer Bielefelder Theatergruppe auf improvisierten Bühnen in militärischen Stellungen. Wohin die Reise ging, bleibt im Dunkel - man darf Auftritte entweder im besetzten Polen oder (kurz vor dem Angriff auf Frankreich am 10. Mai 1940) an der Westfront vermuten. 1943 wird in einem Nebensatz eine 3000-Kilometer-Busfahrt »an den Atlantik« erwähnt.
»Wer zu Soldaten fährt, bringt ihnen etwas mit. Am liebsten Tänzerinnen!«, heißt es in der Presse jener Jahre ganz ohne Arg. Den Zusatz »teils im Kostüm, teils ohne« wird man nicht anzüglich interpretieren dürfen, vielmehr ist hier wohl von Auftritten mal in Bühnengarderobe, mal in Straßenkleidung die Rede. Dennoch machten die Bühnenschönheiten so manchen Jungspund in Uniform verlegen, wie Brückner freimütig gesteht - und ein solches Treffen von Militär und Theater fotografisch belegt. Die Rosalinde (Karin Dahlbom) und die Adele (Gisela Sinerius) aus der »Fledermaus« kannte der Flakhelfer ja noch aus seinem Statistenleben. Das Ballett ebenfalls. »Einigen dieser netten Ballerinen begegnete ich ein Jahr später (1943) wieder, anläßlich eines Batteriefestes am Hellingskamp in der Nähe des Viadukts.«
Die umschwärmten Damen begeisterten ihr Publikum mit dem Holzschuhtanz aus »Zar und Zimmermann«, und obwohl Brückner diesmal nicht die Livree des Palastdieners, sondern Feldgrau trug, erkannten sie ihn wieder. Brückner fand das obligate Erinnerungsfoto - vier Grazien und der »Spieß« der Kompanie - unlängst in einem alten Album wieder.
»Heut sind wir fidel!«, lautete meist das Motto, wenn die Soldaten bei »Bunten Abenden« Ablenkung von den Härten des Kriegsalltags suchten. Die, was Lebensmittel anging, recht gut versorgte Truppe steckte den Künstlern Kaffee und Schokolade zu.
So gaben und nahmen beide Seiten. »Die zarte Stimme der Musen wurde keineswegs vom Lärm der Schlacht übertönt«, dichtete der Redakteur. Die Statistik der Theatersaison 1942/43 vermerkt die Rekordzahl von 393 Aufführungen, 80 davon für Militärpublikum und »Kraft durch Freude« (im Theatergebäude), dazu 30 externe Truppenbetreuungsauftritte in nur zwei Monaten - und elf Gastspiele in Gütersloh, Herford und Detmold.
Die Berichte lassen es erahnen: Die Truppe (gemeint ist diesmal nicht die uniformierte) war stehend k.o. - aber »nie wurden die Musen stärker verehrt, beglückter genossen und lauter bejubelt als in dieser harten Gegenwart«. Martin Brückners Erinnerungen sprechen eine beredte Sprache.

Artikel vom 29.09.2006