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»Wir werden uns nicht bange machen lassen«

Oper in Berlin abgesetzt, Fernsehfilm verschoben: »Druck ist ein schlechter Ratgeber«

Bielefeld (bp). Die Deutsche Oper in Berlin hat die Mozart-Oper »Idomeneo« abgesetzt, die ARD den Film »Wut« ins Spätabendprogramm abgeschoben - aus Angst vor Übergriffen islamischer Fundamentalisten (das WESTFALEN-BLATT berichtete). Bielefelds Kulturdezernent Rainer Ludwig hat keinerlei Verständnis für die Entscheidungen: »Druck ist ein schlechter Ratgeber.«

Dieser Einschätzung schließen sich viele Bielefelder Kulturschaffende an; sie lehnen die, so Catharina Schütte vom Trotz-Alledem-Theater, »Schere im Kopf« ab. Rainer Ludwig ärgert sich darüber, dass sich offenbar »eine Art von Selbstzensur« breit mache: »Die hat in einer liberalen Gesellschaft keinen Platz - wir werden uns nicht bange machen lassen.« Dem schließt sich auch Kunsthallen-Direktor Dr. Thomas Kellein an: »Es herrscht ein Klima von unglaublicher Nervosität, aber wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen.« Er selbst lehne es ab, künstlerisch Notwendiges und Wichtiges zu opfern, nur weil bestimmte Gruppen Bedenken und Einwände äußern könnten.
Emir Ali Sag, Geschäftsführer des Migrationsrates, glaubt, dass Leben der Menschen nicht-deutscher Herkunft, die in Bielefeld wohnen, einschätzen zu können: »Da gibt es kein Verständnis für Konflikte, ausgelöst durch Theater oder Kunst.« Emir Ali Sag spricht von einer »fiktiven Gefahr«: »Davon darf die Freiheit hier zu Lande nicht eingeschränkt werden. Selbstzensur darf es nicht geben.«
Thomas Behrends vom Theaterlabor kann sich nicht vorstellen, ein Stück, das aufgeführt werden soll, unter dem Blickwinkel der Selbstzensur zu beurteilen: »Die Entscheidung der Berliner Intendantin kann ich nicht nachvollziehen.«
Norbert Diekhage vom »Forum für Kreativität« fragt sich nach dem Absetzen der Mozart-Oper: »Wo führt das hin?« Er sei bedrückt, weil die Entscheidung, die Oper (und auch den Fernsehfilm) abzusetzen bzw. zu verschieben, ein Signal sein könnte: »Das kann man nicht hinnehmen.« Er sieht eine Aufgabe des Theaters darin, gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Diekhage: »Bei der Auswahl unserer Stücke bin ich noch nie auf den Gedanken gekommen, sie auf mögliche Angreifbarkeit abzuklopfen. Wichtig ist nur, ob ein Stück gut ist oder nicht.«
Klaus-Georg Loest, stellvertretender Leiter der Stadtbibliothek, betont, Bibliothekare seien der kritischen Literatur, der Meinungsvielfalt verpflichtet: »Dafür stehen wir ein.« Eine Bibliothek wolle den Nutzern »das Beste bieten, was der Buchmarkt zu bieten hat«. Meinungsfreiheit sei dabei das höchste Gut. Natürlich gebe es auch Beschwerden von Lesern, denen Positionen, die in einem Buch vertreten würden, nicht gefallen würden, aber, so Loest: »Kritik üben zu können ist ebenfalls ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft, damit muss man umgehen.« Würde man Selbstzensur üben, so Loest, dann »wären wir keine guten Bibliothekare.«
Gabriele Schäfers-Wienecke, Vorsitzende des Kulturausschusses, hält es für »grundfalsch, im Vorfeld schon ohne Anlass zu kuschen«: »Das führt dazu, dass man keinen Dialog mehr sucht und gleichzeitig verborgene Aggressionen fördert.«
Lesen Sie dazu auch den Bericht auf der Seite Themen der Zeit

Artikel vom 28.09.2006