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Heimweh führt
aus Australien
nach Ummeln

Gerd Kassing wanderte 1954 aus

Von Stefanie Westing
(Text und Foto)
Ummeln (WB). Als er 1954 nach Australien auswanderte, wollte Gerd Kassing nicht allzu lange dort bleiben. »Ich wollte ein bisschen Geld verdienen und dann zurück nach Deutschland«, erinnert er sich. Nun, 52 Jahre später, lebt der gebürtige Bielefelder immer noch in »Down Under« - kommt aber alle zwei Jahre zurück in die alte Heimat, um die Familie zu besuchen.

Seit sechs Wochen ist er bereits wieder in Ummeln bei seiner Cousine Hildegard Bornemann. Die 86-Jährige wohnt mit Sohn und Schwiegertochter, zwei Enkelsöhnen, deren Frauen und zwei Urenkeln praktisch unter einem Dach an der Gütersloher Straße. »Hier fühle ich mich wie zuhause«, sagt Gerd Kassing. Er konnte während seines »Heimaturlaubs« seinen 80. Geburtstag feiern. Mit der Cousine, deren Sohn und Schwiegertochter verbrachte er das Jubiläumsfest im Thüringer Wald.
Apropos Wald: Der deutsche Wald fehlt dem zweifachen Vater und dreifachen Großvater doch enorm auf dem fünften Kontinent. Seine Frau Edeltraud - ebenfalls gebürtige Bielefelderin - und er leben in Kilmore, einer 5000-Seelen-Stadt etwa 60 Kilometer von Melbourne entfernt. Dort ist es so trocken, dass Wald dort nicht wachsen kann. »Manche Kinder haben noch nie Regen gesehen«, schildert der 80-Jährige. »Durch die Trockenheit finden die Kängurus kein Futter in der freien Natur und kommen bis in den Garten.«
Solche Situationen kannte er aus seinem »früheren Leben« in Bielefeld natürlich nicht. Auf die Idee, nach Australien auszuwandern, kam Kassing während des Krieges. »Ich war in Gefangenschaft am Roten Meer, und dort waren viele Australier. Die haben mich auf den Gedanken gebracht.« Weil nur verheiratete Paare einwandern durften, wurde kurzerhand geheiratet, dann hieß es: Koffer packen. Geld verdienen und zurück nach Deutschland, das war der Plan. Doch dann wollte Ehefrau Edeltraud nicht mehr nach »Good Old Germany« - zumindest nicht für immer. Also blieb die Familie in Australien. Dort haben sich die Kassings aber ein wenig das deutsche Leben bewahrt. Der 80-Jährige und seine Frau unterhalten sich weiterhin in der Muttersprache, und zu Weihnachten gibt es sogar einen Schneemann - aus Watte.
Zunächst lebten die Kassings auf einer großen Farm, hatten unter anderem 30 Rinder. Als die Söhne aus dem Haus waren, wurde dem Ehepaar das Anwesen jedoch zu groß. Beruflich siedelten sie sich mit eigenen Geschäften an, richteten zunächst eine Art Bäckerei und Sandwich-Bar ein. Später führten sie ihre eigene Buchhandlung. »Das haben wir 17 Jahre lang getan. Dann lief es aber nicht mehr so, weil die Leute nicht mehr so viel lesen, so dass wir das Geschäft geschlossen und uns zur Ruhe gesetzt haben.« Seitdem geht der 80-Jährige seinen Hobbys nach, kümmert sich zum Beispiel um Rennpferde - oder fliegt zum Besuch in die alte Heimat. »Wenn er hier in Ummeln auf die Straße geht, kennt er vermutlich mehr Leute als wir«, kommentiert Cousine Hildegard Bornemann den Bekanntheitsgrad ihres Besuchers.
Am Dienstag geht es für ihn zurück nach Australien. »Dann fange ich sofort an, für die nächste Reise nach Bielefeld zu sparen«, verspricht Kassing, der immer noch die deutsche Staatsbürgerschaft hat. In zwei Jahren will er seine Cousine wieder besuchen. Wenn er in Australien ist, wird er allerdings gleich seine Koffer wieder packen müssen - die Söhne haben ihm zum 80. Geburtstag eine Schiffsreise zu den Fidschi-Inseln geschenkt.

Artikel vom 28.09.2006