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Abfälle zu Wurst verarbeitet

Neue Ermittlungen - Stichfleisch verbotenerweise in Kühlhaus gelagert

Von Ernst-Wilhelm Pape
Essen/Melle (WB). Im bundesweiten Gammelfleisch-Skandal hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg Ermittlungen gegen den Betreiber einer Tiefkühlhalle im niedersächsischen Melle, Hermann Wulbusch, aufgenommen.

Dem Beschuldigten würden Straftaten nach dem Lebensmittelrecht vorgeworfen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Geprüft werde ferner, ob sich der Betreiber des Kühlhauses am gewerblichen Betrug beteiligt habe.
Wie berichtet soll der Großhändler Uwe Domenz aus Gelsenkirchen europaweit nicht nur mit verdorbenem Fleisch, sondern auch mit Schlachtabfällen gehandelt haben. 315 Tonnen so genanntes Stichfleisch sollen an vier Betriebe in den Niederlanden und Tschechien sowie an fünf Betriebe in Deutschland geliefert worden sein. In den Niederlanden hat die Agrar-Inspektion Ermittlungen aufgenommen. Als Stichfleisch wird jene Fleischpartie bezeichnet, die rund um die Einstichstelle beim Entbluten von Schweinen oder Rindern entsteht und hoch mit Keimen belastet sein kann.
Die fünf deutschen Domenz-Kunden befinden sich in NRW (Gladbeck), Hamburg und Niedersachsen (Vechta, Braunschweig und Steinfeld). Stichfleisch darf laut Gesetz nur für Tierfutter oder technische Fette verwendet werden. Domenz soll von Schlachthöfen Stichfleisch für zehn bis 30 Cent pro Kilogramm angekauft und in Blöcken gefroren zu 50 bis 90 Cent das Kilogramm weiterverkauft haben. Der Großteil des Stichfleisches war verbotenerweise in dem Meller Kühlhaus eingelagert und von dort aus von Domenz weiterverkauft worden. Gegen den Händler wurde bereits Anklage erhoben.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Oldenburg soll der Domenz-Kunde in Vechta, ein Wursthersteller, 130 Tonnen Stichfleisch mit ordnungsgemäßem Fleisch vermischt haben. Dieser Kunde habe das Fleisch dann unverarbeitet nach Russland und Rumänien weiterverkauft oder selbst zu Wurstware verarbeitet und in den Handel gebracht. Die Ermittlungen richteten sich gegen den Senior- und den Juniorchef sowie zwei Angestellte des Betriebes.
Das Verfahren gegen den Domenz-Kunden in Gladbeck wurde eingestellt. Der Kreis Recklinghausen prüft derzeit, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegt.
Das Kühlhaus in Melle war bereits im Dezember 2005 im Auftrag der Staatsanwaltschaft Essen durchsucht worden. Es wurden Geschäftsunterlagen beschlagnahmt, die neben Domenz auch die Fleischgroßhandelsfirma Hug GmbH in Horben (Baden-Württemberg) betrafen. Die Firma Hug hat eingeräumt, nicht zum Verzehr bestimmtes Fleisch, wie Stichfleisch, in dem Kühlhaus eingelagert zu haben. Dies sei ein Fehler gewesen. Aus dem Fleisch sollte Tierfutter hergestellt werden. Aus Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, geht hervor, dass Hug auch Domenz Stichfleisch aus Italien für 55 Cent pro Kilogramm zum Verkauf angeboten hat. Auch dieses Stichfleisch lagerte in Melle. Nach Angaben von Hug ist es aber zu keiner Lieferung an Domenz gekommen.
Gegen Hug ermittelt die Staatsanwaltschaft Freiburg.Die Ermittlungen würden in absehbarer Zeit abgeschlossen, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Maier. Nach Informationen dieser Zeitung muss Hug mit einer Verurteilung per Strafbefehl rechnen.
Vor dem Landgericht Memmingen hat gestern der Prozess um den ersten Fall einer Serie von Fleischskandalen in Bayern begonnen. Die Anklage wirft dem ehemaligen Geschäftsführer der mittlerweile insolventen Deggendorfer Frost GmbH vor, er habe Schlachtabfälle importiert und als Lebensmittel weiterverkauft.

Artikel vom 27.09.2006