30.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Herbert Grönemeyer

»Die jungen Menschen haben es hingekriegt, das Land weltoffen
zu präsentieren.«

Leitartikel
Fußball-WM 2006 im Film

Deutschland
ist gut drauf -
nur im Kino?


Von Andreas Schnadwinkel
Das Datum ist bewusst gewählt: Einen Tag nach dem Tag der Deutschen Einheit kommt am 4. Oktober »Deutschland. Ein Sommermärchen« in die Kinos.
Sönke Wortmanns Dokumentarfilm über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft während der WM 2006 hat das Zeug, zwischen fünf und zehn Millionen Zuschauer auf der großen Leinwand zu begeistern. Aber schafft es die Dokumentation auch, dem Land ein Stück der fantastischen WM-Atmosphäre zurückzubringen?
Denn kaum drei Monate nach dem Weltereignis ist die Stimmungslage alles andere als berauschend. Trotz relativ anständiger Wirtschaftsdaten und positiver Trends wirkt die Große Koalition wie gelähmt - vor allem wegen der Endlos-Diskussionen über die selbst-quälerische Gesundheitsreform. Viele Medien nutzen den Richtungsstreit zwischen Wettbewerb und Staatsmedizin, um die Sollbruchstelle der vom Wähler erzwungenen Regierung offenzulegen.
Wohl nur am 3. Oktober werden sich die verantwortlichen Politiker für 108 Minuten mal nicht mit Ein-Prozent-Regelungen und Kassenfinanzausgleichen beharken. Denn dann findet in Berlin die feierliche Premiere von »Deutschland. Ein Sommermärchen« statt.
Von der Hauptstadt schwappte im Juni die schwarz-rot-goldene WM-Welle über das ganze Land. Angesichts der aktuellen politischen Katerstimmung scheint das Turnier schon gefühlte zwei Jahre vergangen. Vielleicht gelingt es dem Film ja, die wundervolle Stimmung noch einmal zu erzeugen, zumindest solange er im Kino zu sehen ist. Dann könnte Regisseur Sönke Wortmann (»Das Wunder von Bern«) satirisch gemeinte Necknamen wie »Reichsfußballfilmer« locker wegstecken.
Parallel zur Auswertung des WM-Streifens im Kino und von Februar an auf DVD muss sich die Nationalmannschaft in einer nicht zu unterschätzenden Gruppe für die Europameisterschaft 2008 in den Nachbarländern Schweiz und Österreich qualifizieren. Erstaunlich reibungslos verlief im Nach-WM-Rausch Joachim »Jogi« Löws Ernennung zum Bundestrainer und Klinsmann-Nachfolger.
Noch geräuschloser und widerstandsärmer bekam Hansi Flick seinen Vertrag als Co-Trainer. Ein Kandidat, der sich nicht unbedingt aufgedrängt hatte. Als zuletzt der Zweitliga-Coach (Oberhausen) und Horst-Köppel-Assistent (Mönchengladbach) Jörn Andersen öffentlich bekannte, auch er habe mit dem Deutschen Fußball-Bund über das Amt des Co-Trainers gesprochen, wollte das so recht kein Fußballexperte glauben.
Sollte der norwegische Neuling ernsthaft ein Thema in der Frankfurter DFB-Zentrale gewesen sein, könnte der Versuch mit Joachim Löw - und der Breisgauer bleibt trotz seines Klinsmann-Bonus' vorerst ein Experiment - schnell bei Christoph Daum enden.
Der geläuterte Trainer gibt sich so jovial, dass er wahrscheinlich sogar jederzeit Kameras in der Kabine zuließe.
Das wäre dann ein wahres »Wintermärchen« für Sönke Wortmann.

Artikel vom 30.09.2006