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Schriftsteller und Diplomat mit Chancen

Shashi Tharoor

New York (WB/in). Schreibende Politiker sind keine Seltenheit. Meist setzt die schriftstellerische Karriere aber erst ein, wenn wie bei Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder Bill Clinton die politische beendet ist. Abgesehen von dem Tschechen Vaclav Havel gibt es abseits der Memoiren-Schreiberei in Europa kaum schriftstellernde Politiker.

In Südasien dagegen sind Staatslenker, die »nebenher« Romane und Gedichte verfassen, keine solche Seltenheit. Die derzeit prominentesten sind vermutlich der vorige indische Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee sowie der Elite-Diplomat, Stellvertreter und mögliche Nachfolge von UN-Generalsekretär Kofi Annan, der Inder Shashi Tharoor (50).
Obwohl in London geboren, hat Tharoor großen Einblick in die indische Politik und Verständnis für die Strukturen, in denen sich indische Politiker bewegen. Das zeigt sich gerade in seinen beiden Romanen »Aufruhr -Êeine Liebesgeschichte« und ganz aktuell zur Buchmesse in »Bollywood« (Insel Verlag, 22,80 Euro).
Lange vor Ronald Reagan gab es in Indien bereits Schauspieler, die zu Ministerpräsidenten eines Bundesstaates gewählt wurden. Für das Publikum scheint es einsichtig, dass, wer auf der Leinwand erfolgreich für das Gute kämpft, befähigt ist, dies auch in der Politik zu tun. Im Falle von Tharoors »Bollywood« allerdings missbraucht Ashok Banjara, der Sohn des Textilministers, das Vertrauen seiner trotz allem weiter gut gläubigen Wähler.
In »Die Erfindung Indiens« (Insel Verlag, 19,80 Euro) beschreibt Tharoor, wie es schon mal besser lief -Êunter Jawaharlal Nehru. Der erste Ministerpräsident des unabhängigen Indien, dessen Biographie er in diesem Sachbuch beschreibt, schaffte wie vor ihm Mahatma Gandhi den Ausgleich zwischen den Widersprüchen, die das Land prägen. Daran sind alle späteren Politiker gescheitert.

Artikel vom 27.09.2006