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»Wie konnte das passieren?«

Seelsorger betreuen fassungslose Angehörige - Papst Benedikt bekundet Beileid

Von Hans-Christian Wöste,
Christian Läßig, Andreas Hummel
Hannover/Lathen/Osnabrück (dpa). Zerborstene Polster, Glassplitter, zerfetztes Isoliermaterial: der Ort der Transrapid-Tragödie bietet noch immer ein Bild des Grauens. Schockierte, weinende Menschen werfen am Wochenende einen letzten Blick auf die Stelle, an der sie ihre Angehörigen verloren haben.

Seelsorgerin Bärbel Wempe kümmert sich um sie und kennt die immer wiederkehrende Frage: »Wie konnte das passieren?« Auch für den Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode ist die Katastrophe vom Freitag noch immer unfassbar. »Das Leid ist mit Worten kaum auszudrücken«. Mit stockender Stimme suchte der Kirchenmann beim Gottesdienst im Dom nach Worten. 1000 Gläubige sind gekommen, um Mitleid zu bekunden, Trost zu erfahren. In einem Telegramm ließ Papst Benedikt den Angehörigen der Opfer sein Beileid bekunden. »Den Verletzten erbittet Seine Heiligkeit Zuversicht und baldige Genesung«, zitierte Bischof Bode daraus.
Zwei Tage nach dem Transrapid-Unglück, das 23 Mitfahrer in den Tod gerissen hat, ringen die Menschen im Emsland um Fassung. »Wenn wir morgen zur Arbeit gehen, dann fehlen da elf Mann«, sagt Martin Rothenberg, Sprecher von RWE Westfalen-Weser-Ems. Zehn Kollegen des RWE-Regionalcenters Nordhorn starben bei dem Unfall, einer liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Der Schock sitzt den Menschen im ganzen Kreis Grafschaft Bentheim in den Knochen. Landrat Friedrich Kethorn: »Viele Menschen sind in den vergangenen Jahren selbst schon einmal mit dem Transrapid gefahren.«
Am Streckenpfeiler 120 hatte das Drama am Freitagvormittag begonnen: Mit Tempo 179 rast der Transrapid über die Strecke. An Bord sind 31 Insassen: fünf technische Transrapid-Mitarbeiter (darunter drei Zugführer), zwei Auszubildende, die die Fahrt als Auszeichnung bekommen hatten, zwei US-Bürger, die elf RWE-Mitarbeiter aus Nordhorn sowie eine Gruppe von Altenpflegern, darunter Roland und Gabriela K. aus Pr. Oldendorf im Kreis Minden-Lübbecke.
Der Zug wurde von der Zentrale ferngesteuert. Dennoch konnten die Zugführer eingreifen. Einer der beiden Zugführer in der Frontkanzel erkennt noch das Hindernis auf der Strecke und versucht eine Notbremsung. Doch das Manöver kommt viel zu spät: Der Transrapid kracht auf das 60 Tonnen schwere Wartungsfahrzeug, reißt es 500 Meter mit sich, bevor der Trümmerberg zum Stehen kommt.
Staatsanwalt Alexander Retemeyer aus Osnabrück beschäftigt die Kernfrage der Tragödie: »Warum durfte der Transrapid fahren, obwohl dort noch das Wartungsfahrzeug stand?« Die Leitzentrale hätte sich von dessen Rückkehr in eine Parkbucht überzeugen müssen, bevor sie den Transrapid auf die Strecke schickte.
Die Auswertung der beschlagnahmten Daten und Protokolle lässt bisher darauf schließen, dass der Leitstand über ein GPS-Ortungssystem hätte erkennen müssen, dass der Wagen noch auf der Strecke war. Menschliches Versagen deutet sich somit für Retemeyer als Auslöser der Katastrophe an. Aber es werden auch Lücken im System sichtbar: Die Unglücksstelle war nicht kameraüberwacht. Und warum gab es keine automatische Notabschaltung?
Die Ermittler konzentrieren sich jetzt auf die Leitstelle, von der aus grünes Licht für die Todesfahrt kam. Die zwei Mitarbeiter stehen unter Schock, werden von Psychologen betreut. Zwei der wichtigsten Zeugen kann die Polizei nicht mehr fragen: Die beiden Zugführer in der Frontkanzel starben.

Artikel vom 25.09.2006