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Der Klangkosmos starker Emotionen

Saisonauftakt der Bielefelder Philharmoniker in der Oetkerhalle

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Das Alte noch nicht überwunden, im Neuen noch nicht angekommen -Êirgendwie dazwischen und in einem Zustand der Suche und Identitätskrise spielte sich der Klangkosmos ab, mit dem die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung ihres ersten Kapellmeisters Kevin John Edusei am Freitag und Sonntag in die Konzertsaison gestartet sind.

Exemplarisch präsentierte das mit »Zwischen den Zeiten« übertitelte Konzert drei Kompositionen, in denen Sinnsuche und Lebenskrise der Komponisten indirekt und auf ganz unterschiedliche Art und Weise in die Musik einfließen.
Karol Szymanowski (1882 - 1937) suchte neue Wertmaßstäbe fernab provinzieller Rückständigkeit. Die Phase der Öffnung des polnischen Tonsetzers war vielfältig. Seine Konzertouvertüre aus dem Jahr 1905 dokumentiert beispielsweise die Leidenschaft, mit der Szymanowski die Orchestersprache eines Richard Strauss oder die Steigerungsdramaturgie eines Richard Wagner adaptierte. Als in Klang gesetzte Gefühlswellen, als Strom innerer Aufruhr und Emotionen präsentierten die Philharmoniker im klanglich klar durchlichteten Spiel das Werk. Artikuliert wurde hier noch einmal empfindsamer, nuancierter als vor zwei Wochen beim Jubiläumskonzert der Oetkerhalle. Ein Umstand, der verdeutlichte, dass die Akustik nach dem Rückbau deutlich gewonnen hat.
Das Schaffen des 1944 in Auschwitz ermordeten Komponisten Viktor Ullmann erlebt seit den 90er Jahren eine posthume Würdigung -Êspeziell auch in Bielefeld, wo 1995 seine Oper »Der Sturz des Antichristen« uraufgeführt wurde. Jetzt war's das 1939 komponierte Klavierkonzert, welches in knapper, eindringlicher Tonsprache eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit schafft und somit auf ästhetischer Basis die Situation widerspiegelt, der sich der jüdische Künstler ausgesetzt sah. Ueli Wiget als Solist gelang in kongenialer Übereinkunft mit dem Orchester eine grimmig-griffige Umsetzung, die sich in wild hetzenden Akkordketten und Tonrepetitionen, in resignativen Legatho-Ketten und in grotesk aberwitzigen Tanzrhythmen entlud.
Auch bei Robert Schumann findet die allgemeine Identitätsproblematik Eingang in seine zweite Sinfonie. Edusei setzte in seiner Interpretation auf pulsierend emphatische Leichtigkeit, ohne dabei ganz auf die Zwischentöne im »Adagio espressivo« zu verzichten. Gleichwohl eine jugendlich unbeschwerte Sicht auf ein Werk, das auch abgrundtiefe Emotionen kennt.

Artikel vom 25.09.2006