23.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Transrapid rast ins Desaster

Spur des Entsetzens entlang der Trasse - Leichenhunde suchen Vermisste

Von Tina Dettmar und Hans-Christian Wöste
Lathen (dpa). »Hier geht es um Minuten«, sagt ein Rettungssanitäter, »uns läuft die Zeit davon.« Die Rettungskräfte arbeiteten den ganzen Tag mit schwerem Gerät, um zu den im Wrack des Transrapid 08 eingeschlossenen Opfern vorzudringen.

Der Unglückszug steht auf der Trasse in etwa fünf Metern Höhe. Erst viele Stunden nach dem schweren Unglück auf der Teststrecke im Emsland gibt es schreckliche Gewissheit: 23 Menschen sind bei der Katastrophe ums Leben gekommen, zehn überlebten schwer verletzt. Bis zum frühen Abend können die Helfer unter schwierigen Bedingungen zunächst 15 Leichen aus dem Wrack bergen. Die Arbeiten dauern auch in der Dunkelheit an.
Mehrere Hubschrauber fliegen immer wieder die Unfallstelle an. Sie bringen die Schwerverletzten in umliegende Krankenhäuser. Die Helfer am Boden arbeiten sich unterdessen zu den Eingeschlossenen vor. Auch Leichenspürhunde sind entlang der Versuchsstrecke der Magnetschwebebahn im Einsatz. »Wir suchen nach Opfern, die möglicherweise aus dem Zug geschleudert wurden«, sagt ein Polizist.
Auf hohen Betonstelzen steht das zerfetzte Wrack des Transrapids, der am Morgen mit Tempo 170 auf offener Strecke auf einen Werkstattwagen geprallt war. Mit zwei gelben Kränen versuchen die Rettungskräfte, Teile des Wracks anzuheben. Die Feuerwehr ist mit Drehleitern angerückt.
Nach und nach wird die grausige Wahrheit deutlich: Die noch Vermissten müssen in dem völlig zerstörten vorderen Zugteil sein. Und der bietet ein Bild des Grauens, weckt Erinnerungen an das schwere ICE-Unglück von Eschede. Das Wagendach ist von der Wucht des Aufpralls aufgeschlitzt wie eine Konservendose. Auch die Seitenwände sind eingedrückt oder fortgerissen. Trümmer und Kleidung liegen auf mehreren hundert Metern entlang der Unglückstrasse verstreut - Glassplitter, Plastik- und Technikteile.
Die Polizei hat das Gebiet weiträumig abgeriegelt, so dass keine Angehörigen der Opfer oder Schaulustige an die Unglücksstelle gelangen können.
Bärbel Wempe vom Ludmillenstift in Meppen steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Die katholische Krankenhausseelsorgerin betreut mit neun Kollegen 25 Angehörige, die im Besucherzentrum von der Presse abgeschirmt werden und auf Nachrichten warten.
Bei der Testfahrt des Zuges waren nach Betreiberangaben 31 Insassen an Bord. Stundenlang gibt es quälende Ungewissheit über die genauen Zahlen, da keine Passagierliste existiert.
Am Abend steht für die Ermittler fest: Das Unglück wurde durch »menschliches Verschulden« ausgelöst, sagt Alexander Retemeyer von der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Der Transrapid hätte seine Fahrt erst starten dürfen, nachdem der Arbeitswagen in einem Garagenhof geparkt wurde. Stattdessen wurde der Zug von der Leitstelle gestartet, obwohl der Wagen noch mitten auf der Strecke stand. »Der Lokführer hat noch ein Notsignal ausgelöst und versucht zu bremsen«, berichtet Alexander Retemeyer. Doch es war zu spät.

Artikel vom 23.09.2006