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Provision gab's
vom Bestatter

Notärzte-Skandal erschüttert Belgrad

Von Thomas Brey
Belgrad (dpa). Es ist eine Geschichte wie aus dem Horrorkabinett: Ausgerechnet in der Erste-Hilfe-Ambulanz der serbischen Hauptstadt Belgrad sollen mindestens zwei Ärzte durch unterlassene Hilfe den Tod Dutzender Patienten verschuldet haben - um von Bestattungsunternehmen »Provisionen« zu erhalten.

Der Ambulanz-Direktor Borko Josifovski hat nach Belgrader Medienberichten konkret zwei Mediziner schwer beschuldigt. Seit April hätten diese 49 Patienten leichtfertig sterben lassen. Die Ärzte hätten in allen Fällen auf jegliche Wiederbelebungsversuche verzichtet, um privaten Beerdigungsunternehmen dann schnell den Tod zu melden. Dafür hätten sie bis zu 200 Euro pro Patient erhalten.
Nicht ganz nachvollziehbar ist, wie die übergeordneten Behörden reagierten: Der Ambulanz-Direktor ist inzwischen vom Gesundheitsministerium entlassen worden - möglicherweise, weil er mit seinem Wissen zu lange hinter dem Berge hielt. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Die beschuldigten Ärzte dagegen blieben zunächst im Dienst - bei einem um zehn Prozent gekürzten Gehalt.
»Ärzte im Dienst der Bestatter« und »Der Tod ist das beste Geschäft«, titelte die Zeitung »Kurir« zu dem Skandal. Und das Konkurrenzblatt »Blic« will gar wissen, dass sogar 16 Mediziner in der serbischen Hauptstadt mit privaten Bestattern eine Abmachung haben sollen. Die übrigen Mediziner in der Belgrader Erste-Hilfe- Zentrale sind darüber mehr als geschockt. »Wir sind doch keine Monster«, sagten einige von ihnen. »Wir arbeiten doch verantwortungsvoll!«
Zahlreiche Zeitungsleser haben die Darstellung des entlassenen Ambulanz-Chefs in Briefen bestätigt. Sie berichteten von Fällen in ihren Familie, in denen die Notfall-Ärzte keinerlei Hilfen oder Medikamente gewährt und stattdessen die Visitenkarte des Bestatters zurückgelassen hätten. »Letztes Jahr ist mein Vater gestorben«, heißt es da zum Beispiel. Während auf die Notärzte lange gewartet werden musste, »erschien der Bestatter drei Minuten nach Feststellung des Todes«.
In der 1,5 Millionen-Metropole Belgrad gibt es mehr als 100 Bestattungsfirmen, die um Aufträge konkurrieren. Nach Informationen aus der Branche sind die Unternehmen, die Ärzten Provisionen für gemeldete Todesfälle zahlen, um ein Vielfaches teurer als der Durchschnitt. Doch die durch den Todesfall erschütterten Verwandten nähmen diese teuren Dienste ohne Preisvergleich in Anspruch.
Ein Grund für den Skandal dürfte allerdings auch in den niedrigen Bezügen der Ärzte liegen. Die staatlich beschäftigten Mediziner kommen oft nicht einmal auf 500 Euro. Da sie davon kaum ihr Leben bestreiten können, sind sie auf Nebeneinkünfte angewiesen.

Artikel vom 22.09.2006