28.09.2006
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Padgett rückte drei der Stühle zurecht, und sie setzten sich ihm gegenüber. Zu Bentons Erleichterung bot Padgett ihnen keinen Kaffee oder Tee an, sondern saß da, die Hände unter dem Tisch, wie ein gehorsames Kind, und sah sie aus blinzelnden Augen an. Sein dünner Hals ragte aus einem dicken Pullover, dessen kompliziertes Zopfmuster sein blasses Gesicht und die zarten Knochen in dem hohen Schädel betonte, der durch das kurz geschorene Haar schimmerte.
K
Padgett begann einen Vortrag, der wie auswendig gelernt klang. »Ich bin dafür zuständig, das Essen auszuliefern, das die Gäste am Vorabend bestellt haben, und das habe ich um sieben Uhr gemacht. Der Einzige, der etwas brauchte, war Dr. Yelland im Murrelet Cottage. Er wollte für ein kaltes Mittagessen Milch und Eier haben und hatte außerdem um eine Auswahl von CDs aus der Musikbibliothek gebeten. Sein Cottage hat einen Vorraum wie die meisten anderen auch, und da hab ich ihm das Essen hingestellt. So lautete meine Anweisung. Ich habe Dr. Yelland nicht gesehen, und um Viertel vor acht war ich mit dem Wagen zurück am Haupthaus. Ich hab ihn an seinem üblichen Platz im Hof abgestellt und bin wieder hierher gekommen. An einer Uni in London hab ich mich um einen Studienplatz für Psychologie beworben, und die wollten noch eine schriftliche Begründung von mir haben, warum ich das Fach studieren will. Ich hab kein besonders gutes Abi gemacht, aber das ist denen anscheinend nicht so wichtig. Ich hab hier im Cottage gearbeitet, bis Mr. Maycroft kurz nach halb zehn angerufen hat, dass Mr. Oliver vermisst werde und ich bei der Suche mithelfen sollte. Es kam zwar gerade Nebel auf, doch ich bin natürlich trotzdem losgegangen. Die anderen standen schon auf dem Hof vor Combe House. Ich war direkt hinter Mr. Maycroft am Leuchtturm, als sich der Nebel plötzlich lichtete und wir die Leiche entdeckten. Dann haben wir Millie schreien hören.«
Kate fragte: »Und Sie sind ganz sicher, dass Sie, bis Sie zu dem Suchtrupp stießen, niemanden gesehen haben, weder Mr. Oliver noch sonst wen?«
»Ja, wie ich schon gesagt habe. Ich hab niemanden gesehen.«
In diesem Moment klingelte das Telefon. Padgett sprang rasch auf. Er sagte: »Da muss ich rangehen. Das Telefon ist in der Küche. Wir haben es verlegen lassen, damit Mutter nicht gestört wurde.«
Er eilte zur Tür hinaus und zog sie hinter sich zu.
Kate seufzte: »Wenn das Mrs. Burbridge ist, kann das nicht lange dauern.«
E
Kate trat neben ihn. »Man sollte meinen, die wären die Ersten gewesen, die über Bord gehen.«
Er nahm eine der Figuren in die Hand und drehte und wendete sie nachdenklich. Es war eine Frau, die einen Reifrock und einen mit Bändern besetzten Hut trug und mit einer dünnen Hacke einen Gartenweg von Unkraut befreite.
Kate bemerkte: »Nicht unbedingt die passende Arbeitskleidung, was? Die Schuhe würden außerhalb des Schlafzimmers keine fünf Minuten halten, und beim ersten Windhauch fliegt ihr der Hut runter. Was geht Ihnen durch den Kopf?«
Benton lächelte: »Nur die übliche Frage, denke ich. Wieso finde ich das geschmacklos? Ist das nicht eine Art Kultursnobismus? Ich meine, gefällt es mir nicht, weil ich dazu erzogen worden bin, diese Wertung zu fällen? Immerhin ist es gut gemacht. Es ist kitschig, aber es gibt so manche gute Kunst, die man als kitschig bezeichnen könnte.«
»Welche denn?«
»Na ja, Watteau zum Beispiel. Oder DickensÕ Raritätenladen, wenn Sie an Literatur denken.«
Kate nickte. »Stellen Sie die lieber wieder hin, sonst machen Sie sie noch kaputt. Aber mit dem Kultursnobismus haben Sie Recht.«
Benton stellte die Figur wieder an ihren Platz, und sie kehrten zum Tisch zurück.
D
Wie Benton wusste, hätte Kate darauf hinweisen können, dass die Polizei vorläufig nicht befugt war, Padgett auf der Insel festzuhalten, doch das tat sie nicht. Stattdessen sagte sie: »Darüber müssen Sie mit Commander Dalgliesh reden. Wenn wir sie in London vernehmen müssten, vielleicht sogar an der Uni, wäre das natürlich für Sie und vermutlich auch für die Universität unangenehmer, als wenn wir hier miteinander reden.«
E
Sie gingen im Einzelnen durch, was nach dem Auffinden der Leiche geschehen war, und Padgetts Schilderung stimmte mit der von Maycroft und Dr. Staveley überein. Padgett hatte Jago geholfen, das Seil von Nathan Olivers Hals zu entfernen, und er hatte mitbekommen, wie Maycroft danach Jago anwies, es zurück an den Haken zu hängen, doch danach hatte er es weder berührt noch gesehen. Er wusste auch nicht, ob jemand später noch in den Leuchtturm gegangen war.
Schließlich sagte Kate: »Wir wissen, dass Mr. Oliver wütend auf Sie war, weil Ihnen seine Blutprobe über Bord gefallen ist, und man hat uns erzählt, dass er Sie auch sonst oft kritisiert hat. Stimmt das?«
»Ich konnte ihm nichts recht machen. Natürlich hatten wir nicht allzu oft miteinander zu tun. Wir sollen nicht mit den Gästen reden, wenn es nicht deren ausdrücklicher Wunsch ist. Und er war ja nun mal ein Gast, auch wenn er sich benommen hat, als gehörte er hierher und hätte irgendein Recht, auf der Insel zu sein. Aber wenn er mal mit mir gesprochen hat, dann meist um sich zu beschweren. Manchmal waren er oder Miss Oliver mit den Lebensmitteln unzufrieden, die ich gebracht hatte, oder er hat mir vorgeworfen, ich hätte die falschen Sachen geliefert. Ich hab einfach gespürt, dass er mich nicht mochte. Er ist É war einer dieser Männer, die einfach jemanden brauchen, auf dem sie rumhacken können. Aber ich hab ihn nicht umgebracht. Ich könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, geschweige denn einem Menschen. Ich weiß, dass einige es ganz gerne sehen würden, dass ich es gewesen wäre, weil ich mich hier nie richtig heimisch gefühlt habe. Das meinen die nämlich mit ihren Kommentaren, dass ich kein echter Insulaner bin. Ich wollte auch nie einer werden. Ich bin hergekommen, weil meine Mutter das unbedingt wollte, und ich bin froh, wenn ich hier endlich weg bin, was Neues anfange, eine ordentliche Ausbildung mache. Ich hab was Besseres verdient, als hier Mädchen für alles zu spielen.«
D
Padgett blickte nach unten auf die Tischplatte und sagte: »Nur das mit dem Rauch.«
»Was für Rauch?«
»Na ja, im Peregrine Cottage muss schon jemand auf gewesen sein. Die hatten da Feuer an. Ich war im Schlafzimmer und hab aus dem Fenster geschaut und den Rauch gesehen.«
Artikel vom 28.09.2006