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Koalition krankt an Reform

Die Gesundheitsberatungen bekommen den Regierenden nicht

Berlin (dpa). Nach schweren Zerwürfnissen in der Koalition setzt die Bundesregierung bei der Gesundheitsreform auf Zeit und Genesung: Das Kabinett wird sich frühestens Ende Oktober wieder mit dem Gesetzentwurf befassen.
Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), über Teilaspekte der Eckpunkte noch einmal mit der SPD reden zu wollen, belasteten das Koalitionsklima weiter. Ein Zeitungsbericht über eine mögliche Ablösung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde gestern dementiert. Schmidt sah sich erneut Kritik aus den Reihen der Union ausgesetzt.
SPD-Chef Kurt Beck bekräftige, für die Sozialdemokraten seien die Eckpunkte »die feste Grundlage für die weitere Gesetzgebung«. Er erwarte, dass die Arbeit an der Reform »verlässlich und unverzüglich« fortgesetzt werde. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, auch die Kanzlerin halte auf Basis der Reformeckpunkte eine »gute und praktikable« Umsetzung für notwendig.
Die Kanzlerin hatte am Montag in der CDU-Präsidiumssitzung offenbar erklärt, über die Teile der Eckpunkte, die nicht praktikabel seien, müsse mit der SPD noch einmal geredet werden. Sie habe dies vor allem auf die von den Sozialdemokraten durchgesetzte Deckelung des geplanten Zusatzbeitrags für Versicherte gesetzlicher Krankenkassen bezogen, die mit den geplanten Einheitsbeträgen nicht auskommen.
Gesundheitsministerin Schmidt wies die Kritik von Merkel und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer zurück, ihr Ministerium habe Teile des Gesetzentwurfes zur Gesundheitsreform nicht pünktlich geliefert. Sie habe die Vorwürfe »mit Verwunderung zur Kenntnis genommen«, sagte Schmidt
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) forderte beim Finanzausgleich der Krankenkassen einen Rabatt für den Freistaat. Den bayerischen Kassen würden bei bundesweiten Pauschalbeiträgen 1,7 Milliarden Euro fehlen, sagte er. Stoiber warf Schmidt vor, der Arbeitsentwurf aus ihrem Hause sei »alles andere als ein Abbild der Eckpunkte«.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) wies den Vorwurf aus den eigenen Reihen zurück, mit der Reform entstehe ein bürokratisches Monstrum. SPD-Vize Elke Ferner wies die Kritik der Union an der Ministerin zurück. »Das sind doch nur Ablenkungsmanöver von der eigenen Unfähigkeit, sich auf eine einheitliche Linie zu einigen«, sagte sie. Die Vorwürfe seien »völlig ungerechtfertigt«.
Thüringens Regierungschef Dieter Althaus (CDU) rief seine Ministerpräsidenten-Kollegen zu mehr Geschlossenheit auf. »Ich hoffe, dass jeder seine Verantwortung als nationale Verantwortung wahrnimmt und nicht nur an sein Bundesland denkt«, sagte er. DGB-Chef Michael Sommer forderte, die Eckpunkte zu überdenken. Die Reform sei »nicht der große Wurf, sondern der große Reformkrüppel«. Verdi-Chef Frank Bsirske plädierte für einen Neuanfang: »Die Eckpunkte müssen neu ausgehandelt werden.«
Nach einer Emnid-Umfrage kennt die Mehrheit der Bundesbürger das Reformkonzept nicht. Danach zeigten sich 59 Prozent ahnungslos. 55 Prozent sprachen sich dafür aus, private Kassen zu erhalten. Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 21.09.2006