21.09.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wellness-Oase als Ort der Liebe und Intrige

Figaros Hochzeit im sanierten Bielefelder Stadttheater

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Figaro arbeitet als Fitness-Trainer in einer Wellness-Oase. Er und Susanna, die im selben Betrieb angestellt ist, sind ein Paar. Doch sein prolliger Boss hat selbst ein Auge auf die schöne Servicekraft geworfen und lässt nichts unversucht, die Hochzeit der beiden zu verhindern.

Was wie der Plot zu einer neuen Telenovela klingt, kam am Dienstagabend als große Komische Oper daher. Die erste, die im Bielefelder Stadttheater nach zweijähriger Sanierungszeit über die Drehbühne ging und beim Premierenpublikum reichen Anklang fand.
Opernspielleiter Nicholas Broadhurst hat Mozarts Oper »Die Hochzeit des Figaro« einer zeitkritischen Prüfung unterzogen und ist darüber zum Körperkult gelangt. Liebevoll ironisierend führt er übertriebenen Schönheitswahn vor, indem er seinen »Figaro« in das schwül-warme Biotop einer Wellness-Oase (Ausstattung: Timo Dentler, Okarina Peter) verlegt. Nach dem Motto: Nur wer den Schönheits- und Fitness-Idealen der Zeit entspricht, darf hoffen, geliebt und begehrt zu werden.
Wobei wir bei Mozart wären, in dessen 1786 uraufgeführten Oper es nur so wimmelt von Personal, das dem ureigenen menschlichen Bedürfnis nach Liebe, Lust und Leidenschaft frönt. Bekanntlich führt das zu Verwicklungen, Intrigen und einem »tollen Tag«, der sich bei Broadhurst zwischen Sauna, Swimmingpool und Solarium zuträgt und vom Ensemble mit gekonntem Slapstick ausgespielt wird. Erneut positiv wirkt sich hier die Bewegungsregie von Struan Leslie aus, der sämtlichen Personen eine auf Musik und Charakter zugeschnittene Choreografie genau auf den Leib geschneidert hat.
Somit darf mit einem lachenden und einem weinenden Auge gestaunt werden. Etwa über Luxusweib Rosina (Melanie Kreuter), das sich auf dem Trimmrad abstrampelt, um für ihren untreuen Ehemann attraktiv zu bleiben. Oder die martialische Masseurin Marcellina (Kaja Plessing), die sich an ihren Kunden Bartolo (Jacek Janiszewski) mit ganzem Körpereinsatz abarbeitet und im Takt der Musik die Knochen knacken lässt.
Neben zahlreichen komischen Einfällen aber zeigt Broadhurst Menschen mit Gefühlen. Sie in Fleisch und Blut zu verkörpern, darin liegt die Stärke des Ensembles. Melanie Kreuter durchmisst mit traumwandlerischer Sicherheit ein enormes Klang- und Ausdrucksspektrum und hinterlässt in ihren wehmütigen Arien den intensivsten Eindruck.
Alexander Marco-Buhrmester als triebhaft prolliger Club-Besitzer rausgeputzt, verleiht mit nobler Klangrundung seinem heißen Werben Ausdruck. Cornelie Isenbürger (Susanna) und Michael Bachtadze (Figaro) feiern als selbstbewusste Angestellte Triumphe und unterstreichen dies mit brillanter Stimmführung. Einer Offenbarung gleicht Claire Wild (Cherobino), die als liebestolles Bürschchen und mit reifer stimmlicher Strahlkraft die Herzen erobert.
Und die Akustik im sanierten Haus? Klang die Ouvertüre trotz Allegro-Verve und spielerischer Kleinteiligkeit noch merkwürdig trocken, so glättete sich der Eindruck im Laufe des Abends, bei dem sich die Bielefelder Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Peter Kuhn sowie der Chor (Hagen Enke) in Höchstform präsentierten.

Artikel vom 21.09.2006