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Vor dem Laufsteg
geht's über die Waage

Aufruhr in der Modewelt: Mager-Models in Madrid gesperrt

Von Hubert Kahl
Madrid (dpa). Als das Model seinen Weg über den Laufsteg beendet hatte, blies es die Backen auf und streckte dem Publikum die Zunge heraus. Mit dieser Geste machte die Schöne deutlich, was sie davon hielt, vor ihrem Auftritt bei der Madrider Modewoche auf die Waage steigen zu müssen...
Durch die Bank über die Waage: Auch die Models von Modemacher Ailanto mussten ihr Mindestgewicht belegen.

Als erste internationale Modemetropole hatte Madrid entschieden, dass sich alle Teilnehmerinnen der »Pasarela Cibeles« wiegen lassen mussten. Zu magere Models wurden von den Laufstegen verbannt. Die spanische Hauptstadt löste damit in der Welt der Mode eine lebhafte Debatte aus.
Die meisten Modemacher und deren Models zeigten sich von dem Teilnahmeverbot für untergewichtige Mannequins wenig begeistert. Sie warfen den Verantwortlichen vor, magere Frauen zu diskriminieren. Dagegen feierten Politiker und Gesundheitsexperten die Entscheidung als einen wichtigen Schritt im Kampf gegen die Ausbreitung von Magersucht und Bulimie.
»Dies ist die erste internationale Modemesse, die ein Zeichen für die Gesundheit setzt«, sagte die Regierungschefin der Region Madrid, Esperanza Aguirre. Seit Jahren hatten Experten darauf hingewiesen, dass magere Models nicht nur ein falsches Schönheitsideal verbreiteten, sondern auch ein schlechtes Vorbild für die Jugend abgäben.
Mehrere renommierte Laufstegschönheiten wie Eugenia Silva oder Marta Español empfanden die Prozedur des Wiegens jedoch als demütigend und blieben der Modewoche fern. Einige versuchten gar, einen Boykott zu organisieren, scheiterten aber damit. Andere Models stellten sich zähneknirschend auf die Waage. »Warum zeigt man nur auf die Dünnen und nicht auf die Dicken?«, fragte Eva Sanz.
Von den 68 Models, die sich bei der bis Freitag laufenden Modewoche vorgestellt hatten, wurden fünf ausgeschlossen, weil sie nicht genug Gewicht auf die Waage brachten. Als Limit war ein Index vorgegeben, der sich nach dem Gewicht und der Größe berechnet. Das Gewicht (in Kilogramm) dividiert durch die Körpergröße (in Meter) zum Quadrat muss wenigstens einen Wert von 18 ergeben. Ein 1,75 Meter großes Model muss demnach wenigstens 56 Kilogramm wiegen.
Die Verantwortlichen richteten sich dabei nach den Werten der Weltgesundheitsorganisation, für die ein Index von unter 18 Untergewicht bedeutet. »Wir waren an einem Punkt angelangt, an dem immer mehr Models nur noch Haut und Knochen waren«, sagte die Direktorin der Madrider Modewoche, Leonor Pérez Pita. »Das konnte so nicht weiter gehen.«
In Modezentren wie London oder Mailand stieß die Initiative bei Politikern auf ein positives Echo. Die Mailänder Bürgermeisterin Letizia Moratti und die britische Kulturministerin Tessa Jowell plädierten dafür, dass andere Modemessen dem Beispiel Madrids folgen sollten. »Junge Mädchen fühlen sich minderwertig, wenn sie nicht ebenso schön sind wie die Models«, sagte Jowell. »Viele 15-Jährige fassen sich am Morgen beim Aufstehen als erstes an den Bauch.« Der britische Mode-Zar Stuart Rose wollte von solchen Überlegungen jedoch nichts wissen: »Der Weg der Verbote ist nicht der richtige. Wir werden ihm nicht folgen.«
Die Aufregung um das Gewicht der Schönheiten hatte zur Folge, dass die Besucher der »Pasarela Cibeles« an den ersten Tagen mehr auf die Maße der Models achten als auf die Kleidung, um die es eigentlich gehen sollte. »Die Gewinner des Streits sind die Zuschauer«, stellte die Zeitung »El Mundo« fest. »Sie bekamen diesmal Frauen mit Kurven zu sehen.«

Artikel vom 20.09.2006