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100 000 Menschen
erwarteten Zeppelin

Robert Cohnen forscht über Luftfahrt in Bielefeld

Von Lars Rohrandt
Bielefeld (WB). Ganz Bielefeld und Umgebung ist auf den Beinen. Mehr als 100 000 Menschen strömen in die Senne, um einem einmaligen Ereignis beizuwohnen: Das berühmte Luftschiff »Graf Zeppelin« landet in Windelsbleiche. Mächtig was los in der Leinenstadt - die Sparrenburg ist beleuchtet, auf dem Johannisberg wird gefeiert.
Robert Cohnen wurde im Senner Heimatarchiv und im Bielefelder Stadtarchiv fündig. Foto: Rohrandt

Das war am 31. August 1930, und die »Graf Zeppelin« war nach 53 Minuten schon wieder weggeflogen. Geblieben sind herrliche Fotoaufnahmen. Aber nicht ausschließlich. »Ohne dieses Großereignis hätte Bielefeld heute keinen Flughafen Windelsbleiche«, erzählt Robert Cohnen. »Die Zeppelin-Landung war dessen Geburtsstunde.«
Der Bielefelder Historiker Cohnen hat sich jüngst mit der »Luftfahrt in Bielefeld« beschäftigt. Ein Aufsatz ist im Begleitbuch der Sonderausstellung im Detmolder Freilichtmuseum »Ikarus-Maschinen. Luftfahrt in Ostwestfalen-Lippe« erschienen. Diese ist noch bis zum 3. Oktober zu sehen.
In Bielefeld begann das Luftfahrt-Zeitalter wohl am 14. Mai 1893 mit einem Flugtag. Vorgeführt wurde der Aufstieg eines Heißluftballons und ein »Absturz mit dem Fallschirm«. 1908 gründete sich der Westfälisch-Lippische Luftfahrtverein, der 22 Jahre später »Graf Zeppelin« nach Bielefeld lotste. Federführend war hier Bielefelder Prominenz: zum einen Louis Stratemann, der damals größte Autohändler der Stadt, und zum anderen Handelskammerpräsident Paul Delius.
Nur ein Jahr nach dieser Vereinsgründung hob der erste Bielefelder Flugapparat ab, gebaut von Nikolaus Dürkopp. Ein Eindecker von zehn Metern Spannweite und mit einem luftgekühltem V-Motor aus der Motorradproduktion unternahm auf dem Brackweder Exerzierplatz in der Senne Flugversuche. »In einem Meter Höhe legte der Eindecker 150 Meter zurück«, zitiert Cohnen aus zeitgenössischen Quellen, die er im Stadtarchiv und im Heimatarchiv Senne fand.
Doch die Dürkopp-Werke wurden kein Flugzeugbauer. Der erste Typ war zugleich der letzte; über größere Sprünge kam er nicht hinaus, bei einer Landung ging er zu Bruch, endete auf einem Dachboden und geriet in Vergessenheit.
1911 war Bielefeld ein Schauplatz des damals spektakulären Deutschland-Rundflugs über eine Distanz von 1900 Kilometern. Gelandet wurde auf der Queller Pferderennbahn, die bis zur Eröffnung des Flugplatzes Windelsbleiche die einzige Landemöglichkeit der Stadt und immer wieder Schauplatz zahlreicher Flugtage bleiben sollte. Mitte der 1920er Jahre, Bielefeld strebte auf dem Weg zur Großstadt euphorisch der 100 000-Einwohner-Grenze entgegen, gab es Diskussionen, einen Motorflugplatz zu errichten, um an die Verkehrsfluglinien angeschlossen zu werden. Doch diese Pläne ohne konkreten Anlass wurden nicht umgesetzt.
Schließlich schlug die Geburtsstunde von Windelsbleiche. Nach langen Verhandlungen des Luftfahrtvereins Bielefeld mit der »Luftschiffbau Zeppelin GmbH« in Friedrichshafen gelang der große Coup: »Graf Zeppelin« wird am 31. August 1930 erwartet. Dabei half den Bielefeldern der Kontakt zu einem Sohn der Stadt, Max Pruß, der damals Luftschiffoffizier war. 1937 steuerte er, mittlerweile Ehrenbürger der Stadt, die »Hindenburg« als Kommandant in die Katastrophe von Lakehurst, die er knapp überlebte.
»Diese Landungen waren kommerzielle Veranstaltungen, die generalstabsmäßig vorbereitet wurden«, erzählt Cohnen. In Windelsbleiche wurden 62 000 Eintrittskarten verkauft; die Stadt kassierte ein Fünftel der Einnahmen.
Um das Gelände herzurichten, hatten Arbeitslose im Rahmen der Notstandsarbeiten Bäume gefällt, den Boden planiert und Zufahrtsstraßen angelegt. 400 Turner standen als Haltemannschaften für die Landeseile des Zeppelins bereit.
»Nach diesem gelungenen Einstieg begann der systematische Ausbau des zunächst provisorischen Platzes, der sich rasch zu einer permanenten Einrichtung entwickelte«, sagt Cohnen, der in Lemgo als Lehrer arbeitet. Von 1933 an trug der Platz den Namen »Flughafen Bielefeld«, der bald 400 Starts und Landungen monatlich bewältigte.
Ab 1957 wurde nach einem Flughafengelände nördlich von Bielefeld gesucht, denn der Ausbau von Windelsbleiche zum Verkehrsflughafen war nicht möglich. 1963 begannen konkrete Planungen für einen Flughafen in Lenzinghausen-Nagelsholz an der Grenze zu Jöllenbeck. Daraus wurde bekanntlich nichts; spätestens 1980 war Schluss mit dem Projekt. Besonders bei den Bürgern war der Widerstand groß.
Heute ist die geplante Einflugschneise ein besonders idyllischer Streifen auf der Grenze zwischen Bielefeld und dem Kreis Herford. Cohnen ist dies stets recht gewesen: »Dort bin ich aufgewachsen. Der Ausblick in die Natur ist gänzlich unverbaut.«

Artikel vom 21.09.2006