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Medikament wirkte wie Gift

Lebensgefahr durch zu viel Antibiotika - Arzt zahlt Schmerzensgeld

Von Christian Althoff
Spenge (WB). 20 000 Euro Schmerzensgeld hat ein Internist aus Spenge (Kreis Herford) einem 26 Jahre alten Patienten gezahlt. Gutachter der Uni Düsseldorf waren zu dem Ergebnis gekommen, dass der Arzt den schwerkranken Mann mit einer viel zu hohen Dosis Antibiotika behandelt hatte.
Christoph W. mit der Kurve, die den Anstieg des Antibiotikaspiegels im Blut zeigt. Foto: Althoff
Christoph W. steht seit seiner Geburt unter regelmäßiger Kontrolle der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), weil er mit einem Herzklappenfehler zur Welt gekommen war. »Trotzdem habe ich eine ganz normale Kindheit verbracht und nach dem Abitur eine Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker abgeschlossen«, erzählt W., der in seiner Freizeit die Jugendgruppe der Freiwilligen Feuerwehr Spenge-Nord leitet.
Im Mai 2002 wurde dem damals 22-Jährigen während des Zähneputzens schwindelig, er verlor das Bewusstsein und kippte rückwärts in die Badewanne. In der MHH diagnostizierten die Ärzte eine Endokarditis - eine Entzündung der Herzinnenwand und der Aortenherzklappe. »Bakterien hatten die Herzklappe soweit zerfressen, dass ein großer Teil des gepumpten Blutes einfach wieder ins Herz zurückfloss«, erinnert sich der Spenger.
Prof. Axel Haverich rettete den 22-Jährigen, indem er ihm die Herzklappe eines Rindes transplantierte. Vor der OP bekam der Patient in der MHH zwei Wochen lang Antibiotika, die die Bakterien im Herzmuskel töten sollten. »Diese auf drei Monate angelegte Therapie sollte nach meiner Entlassung noch einen Monat von meinem Hausarzt fortgesetzt werden«, sagt Christoph W. Täglich fand er sich in der Praxis des Internisten ein, wo er an den Tropf kam.
»Nach zwei Wochen Behandlung bekam ich Seh- und Gleichgewichtsstörungen, die so schwer wurden, dass ich nicht mehr ohne fremde Hilfe geradeaus laufen konnte«, sagt der 26-Jährige. Seine Mutter brachte ihn in die MHH, wo ein schweres Nierenversagen festgestellt wurde. »Mein Leben stand auf der Kippe. Mehr als eine Woche haben die Ärzte darum gekämpft, meine Nieren zu retten«, erinnert sich Christoph W. Diese Zeit sei die Hölle gewesen. »Nur noch verschwommen sehen zu können und völlig geschwächt im Rollstuhl zu sitzen ließ mich zusammenbrechen. Wenn ich nicht täglich Besuch von Freunden oder Eltern gehabt hätte - ich hätte das nicht unbeschadet durchgestanden«, erzählt er. Nach etwa zehn Tagen bekamen die Ärzte die Nierenwerte langsam in den Griff - die Organe waren gerettet.
»Es stellte sich heraus, dass mein Hausarzt mir wochenlang eine Antibiotika-Dosis verabreicht hatte, die bis um das Vierfache über dem erforderlichen Wert lag. Das hatte zu dem Nierenversagen geführt«, berichtet der Patient, der den Internisten verklagte. Patienten-Anwältin Heike Eimertenbrink: »Zwei Gutachter der Uni Düsseldorf, die vom Landgericht Bielefeld beauftragt worden waren, kamen zu dem Schluss, dass ein schwerwiegender Behandlungsfehler vorliegt.« In dem Gutachten heißt es, die nicht fachgerechte Antibiotikagabe verstoße »gegen die fundamentalen Regeln der ärztlichen Heilkunde«. Der Hausarzt habe es versäumt, den Antibiotikaspiegel im Blut täglich bestimmen zu lassen, um ihn in verträglichen Grenzen halten zu können. Es sei bekannt, dass die Antibiotika bei zu hoher Dosis nierenschädigend sein könnten.
Beide Parteien stimmten einem Vergleichsvorschlag des Landgerichtes zu, der vorsieht, dass der Arzt 20 000 Euro an Christoph W. zahlt und dieser keine weiteren Ansprüche gegen den Mediziner stellt. Rechtsanwalt Jürgen Peitz, der den Arzt vertreten hat: »Dass wir den Vergleich akzeptiert haben, ist keinesfalls ein Schuldeingeständnis. Vielmehr wollten wir einen zeitaufwendigen Prozess um die Frage vermeiden, ob der Arzt den Antibiotikaspiegel ausreichend oft kontrolliert hat.«
Der Spenger, der wegen seiner Krankengeschichte den Beruf als Landmaschinenmechaniker nicht mehr ausüben kann und jetzt an der Uni Paderborn Maschinenbau studiert, hat die 20 000 Euro zur Seite gelegt. »Meine neue Herzklappe hält voraussichtlich 15 Jahre, und wer weiß, wie sich unser Gesundheitssystem entwickelt? Vielleicht brauche ich das Geld ja eines Tages, um mir eine neue Klappe leisten zu können.«

Artikel vom 03.10.2006