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Lächeln ist ihr
großes Kapital

»37 Grad« blickt auf Dienstleister

ZDF, 22.45 Uhr: Jeden Morgen übt Lena ihr Lächeln vorm Spiegel. Das ist ihr Kapital für den Tag. Sie arbeitet als Kellnerin für eine Personalagentur.

In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit haben bestimmte Branchen Hochkonjunktur: Zeitarbeitsfirmen beschäftigen mittlerweile in Deutschland 500 000 Arbeitnehmer, Callcenter haben 350 000 Mitarbeiter in Teilzeit oder ganz verpflichtet. Fast alle eint ein Grundsatz: Lächeln gehört zum Job. In der Reportage »Immer gut drauf« in der Reihe »37 Grad« berichtet Autorin Sibylle Trost über drei Fälle aus der Dienstleistungsbranche, für die Gute-Laune-Verbreiten ein Muss ist.
Die 29-jährige Steffi arbeitet schon seit mehr als neun Jahren in einem Callcenter. Damit gehört sie zu den dienstältesten Mitarbeitern. Die meisten sehen das als vorübergehenden Job und bleiben nicht länger als zwei bis drei Jahre. Auch Steffi wollte nach der Schule nur vorübergehend in einem Callcenter arbeiten, um die Zeit bis zur Ausbildung zu überbrücken und ist dort hängen geblieben. Man muss stark sein, um die 80 Prozent »Nein-Antworten« der Kunden zu verkraften. Dem Ärger Luft machen, um wieder lächeln zu können, das hat Steffi inzwischen mühevoll gelernt.
Mike Simon hat die »Schule des Lächelns« ins Leben gerufen, eine Akademie zur Ausbildung von Mitarbeitern aus der Dienstleistungsbranche. Sein Ziel ist es, die Freundlichkeit bis ins Kleinste zu perfektionieren. Ein Marathon-Mann, der nicht eher aufgibt, bis das »authentische Lächeln« auf den Gesichtern seiner Mitarbeiter leuchtet, das für ihn eine Selbstverständlichkeit ist. Welcher Gast im Restaurant, welcher Kunde, der in Callcentern nach Informationen fragt, freut sich nicht, freundlich bedient zu werden?
Doch das strahlende Lächeln zu jedem Gast und zu jeder Zeit, bei Beschwerden und Reklamationen ist eine harte Arbeit, das weiß die 25-jährige Lena nur zu genau. Eine »Gefühlsarbeit«, eine Arbeit mit und manchmal auch gegen die eigenen Gefühle. Mit heißen Tellern und schmerzenden Füßen den Job auszuüben, dazu ein herzhaftes Lächeln, das erfordert intensives Training. Damit das auch klappt, bietet die Personalagentur entsprechende Kurse an, in denen es nicht nur darum geht, »immer gut drauf zu sein«, sondern auch um Tipps und Kniffe, dem schlecht gelaunten Kunden mit einem Lächeln zu begegnen.
Doch wie wird das 10-Stunden-Lächeln am Feierabend verkraftet? Kann es gar zur Positivierung des eigenen Lebensgefühls führen, oder wird es eher als Anstrengung erlebt? Wie schafft es Lena, auch am nächsten Tag wieder mit freundlichem Lächeln die Teller zu servieren, auch gegen die schlechte Laune manches Kunden? »37 Grad« wirft eine intensiven Blick hinter die Kulissen.

Artikel vom 19.09.2006