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»Beck-Bord stehen acht Genossen, die auf jedem Dreimaster mit FDP und Grünen anheuern.«

Leitartikel
Streit um die Gesundheit


Zickenalarm ohne Perspektive


Von Reinhard Brockmann
Höchstens zwei Jahre werde die große Koalition halten, das gaben neben ganz wenigen anderen Helmut Schmidt und Wolfgang Clement im vergangenen Herbst zu Protokoll. Noch ist das Minderheitenmeinung. Aber: Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass schon im Gerüst der Gesundheitsreform die Sollbruchstelle angelegt ist.
Kopfpauschale und Bürgerversicherung passen jedenfalls nicht zusammen. Das ist seit langem klar. Auch die mit viel Ach und Krach bis zu Sommerpause präsentierten Eckpunkte der Gesundheitsreform sind längst als schamloser Griff ins Portemonnaie der Versicherten entzaubert. Nach der eingebauten Beitragssatzerhöhung werden jetzt in den aus dem Ministerium sickernden Teilen des neuen Gesetzes eine Reihe von Eigenmächtigkeiten offenbar.
Die Meldung der in aller Regel gut informierten Süddeutschen Zeitung über eine bevorstehende Entlassung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde gestern am lautesten von jenen als abstrus und gegenstandslos bezeichnet, die gemeinsam mit der Aachenerin gehen müssten. Aus Reihen der Unionsministerpräsidenten hört man inzwischen, das sei doch »deren dritte Gesundheitsreform«. Und: »Kann die besser werden als die zwei vorausgegangenen?«
Das Wahlvolk weiß jedenfalls, dass bislang jede Reform - seit Horst Seehofers Tagen - die Gesundheit teurer und neben vielem anderen die heimischen Heilbäder ärmer gemacht hat.
In Berlin geht es seit Sonntagabend nicht mehr um die Sache, es geht um die Macht. Merkel steuert direkt auf den Konflikt mit Schmidt zu. Am Montag kanzelte sie die Ministerin öffentlich ab. Frau Schmidt und ihr Haus seien Schuld an der »dramatischen« Verzögerung der Reform.
Bislang geübte Rücksichten sind jedenfalls über Bord gegangen und - viele wittern es - politisch überleben werden nur die Starken. Das Schiff treibt auf hoher See. Rette sich, wer kann?
Angela Merkel, die in Kurt Beck einen für sie urplötzlich brandgefährlichen Rivalen gefunden hat, zeigt Nerven. Das bedeutet im politischen Geschäft Führungsschwäche pur. Merkels schnippisches Wort, mäkelnde Länderchefs (der Union) könnten ja eines fernen Tages den Vermittlungsausschuss anrufen, klang nach Führung, war aber Hilflosigkeit in Reinkultur.
Ein donnernder Rausschmiss der SPD-Dauer-Dame Schmidt, die Gerhard Schröder überlebte, stünde Merkel gut zu Gesicht. Allerdings ist kaum mehr als ein möglicherweise gezielt gestreutes Gerücht drin. Immerhin zeigt es der Republik schon einmal das »Ich-kann-auch-anders«- und »Was-wäre-wenn«-Szenario auf.
Alles nur Theaterdonner und Zickenalarm: Denn Merkel kann überhaupt nicht an der SPD-Riege rütteln. Laut Koalitionsvertrag befehligt sie allein die sieben schwarzen Ressortchefs. An Beck-Bord stehen acht Genossen, die - ganz ohne NeuwahlenÊ- auf einem Dreimaster mit FDP und Grünen anheuern könnten.

Artikel vom 21.09.2006