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Wowereit will in die SPD-Spitze

Sein Nachteil: Er gilt in der Partei als Symbol für rot-rote Koalitionen

Berlin (Reuters). Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit erhofft sich von seinem deutlichen Wahlsieg Rückenwind für eine größere Rolle in der Bundes-SPD. Der 52-Jährige konnte bei der Abgeordnetenhaus-Wahl gestern seine große Popularität auch in Wählerstimmen umsetzen.
Hochrechnungen zufolge steigerte die SPD ihr Ergebnis leicht auf gut 31 Prozent, so dass Wowereit aller Voraussicht nach im mit 60 Milliarden Euro hoch verschuldeten Berlin im Amt bleiben kann. Im Wahlkampf hatte er im »Stern« angekündigt, er werde sich nach einem Wahlsieg auch im Bund »stärker als in den letzten fünf Jahren artikulieren.«
Diese Aussicht wird hinter vorgehaltener Hand in der Spitze der Bundes-SPD mit Skepsis betrachtet. Wowereit ist vielen als Symbol für rot-rote Koalitionsoptionen unbequem.
Andere unterstützen ihn als Vorreiter für ein Bündnis mit der PDS - von dem sie sich vielleicht sogar im Bund langfristig neue Chancen ausrechnen.
In den Kommentaren der SPD-Parteispitze zum Wahlausgang wurden Wowereits politische Fähigkeiten pflichtschuldig gelobt: »Ich freue mich, dass die Berlinerinnen und Berliner Klaus Wowereit so eindrucksvoll in seinem Amt bestätigt haben«, sagte SPD-Chef Kurt Beck gestern Abend. »Es ist deutlich geworden, die Berliner wollen ihren Regierenden Bürgermeister behalten.«
Über seinen Ambitionen in der Bundes-SPD verloren weder Wowereit selbst, noch Beck am Wahlabend ein Wort.
Vor allem im Kontrast zu den schweren Verlusten der SPD bei der gleichzeitigen Wahl in Mecklenburg-Vorpommern steht Wowereit als klarer Sieger da. In Schwerin zeichnete sich für Ministerpräsident Harald Ringstorff eine Zitterpartie ab, ob seine SPD stärkste Partei und er Regierungschef bleiben würde. Wowereit dagegen dürfte sogar sein Ziel erreicht haben, nach der Wahl mehrere Optionen zu haben: Den Hochrechnungen zufolge könnte er entweder mit den Grünen koalieren oder seine Koalition mit der PDS fortsetzen, aber stets mit denkbar knapper Mehrheit im Abgeordnetenhaus. »Wir könnten sowohl inhaltlich mit den Grünen wie mit der PDS.Linkspartei eine Koalition machen«, sagte er. Wowereit will nun mit beiden Parteien über die Möglichkeit einer Kaolition reden.
Die Grünen-Parteichefin Claudia Roth forderte den Berliner Regierenden Bürgermeister auf, die PDS als Koalitionspartner fallen zu lassen und ein rot-grünes Bündnis zu schmieden. »Berlin hat heute einen klaren Gewinner dieser Wahl, und das sind die Grünen«, sagte Roth.
Das Etikett »Chef einer rot-roten Koalition« macht Wowereit parteiinterne Aufstiege schwerer als das Image als »Regierender Partymeister«, dem er im Wahlkampf ein betont seriöses Bild entgegensetzte.
Im Interview schloss auch er zwar für die Bundestagswahl 2009 eine Zusammenarbeit mit den Linken aus. Aber jede Allianz mit der SED-Nachfolgepartei in den Ländern macht die SPD angreifbar für politischen Attacken der Union, die SPD strebe auch im Bund nach einer solchen Koalition. Wowereit ist als Person und Berlin als Hauptstadt das sichtbarste Symbol für solche Möglichkeiten. Die Sonderrolle Berlins ist für Wowereit und seine Ambitionen Fluch und Segen zugleich.
Einerseits sichert der Sonderstatus als Hauptstadt auch ihrem Regierungschef mehr Aufmerksamkeit vielen Ministerpräsidenten größerer Länder. In der SPD dagegen hat er nur eine geringere Hausmacht. Bei einer Kandidatur als Parteivize, die er nicht ausschließt, müsste er sich Unterstützer aus vielen anderen Landesverbänden sichern.
Da die Stadt weder West- noch Ostdeutschland zugerechnet wird, wurde er auch gar nicht gefragt, als im Frühjahr der Platz Ostdeutschlands in der Parteiführung neu besetzt wurde. Der Posten ging an den weitgehend unbekannten Jens Bullerjahn aus Sachsen-Anhalt.

Artikel vom 18.09.2006